Der Berührungssinn wird als erster der fünf Sinne des Menschen ausgebildet. Über Berührung nehmen wir im Mutterleib von Anfang an unsere Umgebung wahr, über Berührung machen Kleinkinder die ersten Erfahrungen und darüber wird unsere Entwicklung im menschlichen Sozialverhalten und in der Bewegung gefördert (Grossmann, 2000). Berührung ist auch nonverbale Kommunikation und die erste Sprache, die ein Baby lernt (Specht-Tomann & Tropper, 2007). Bei Schwangeren beeinflusst das Berührtwerden die Gesundheit und das Wohlbefinden der Frau und ihres ungeborenen Kindes (Ott et al., 2020). Während in der Pflege und anderen medizinischen Berufen die Berührung bereits ein anerkannt bedeutendes Thema ist, stößt man bei einer Literaturrecherche zur Berührung im Hebammenberuf auf sehr wenig Forschung.
Was Frauen wichtig ist
Da körperliche Berührung unumgänglich ist in der Hebammenarbeit, wurde im Rahmen einer Masterarbeit folgende Forschungsfrage gestellt: »Was sind Bedürfnisse und Wünsche von Frauen in Bezug auf Berührtwerden in der Schwangerschaft durch die Hände der Hebamme oder anderer beteiligter Fachpersonen?«
Da Berührung kulturell geprägt ist (Gallace & Spence, 2010), wurde eine homogene Zielgruppe von drei Frauen aus dem Kanton Graubünden in der Schweiz mit je zwei Kindern im Alter zwischen einem und zehn Jahren angesprochen, insgesamt wurden drei qualitative Interviews ausgewertet. Die Ergebnisse zeigen, dass die Frauen viel Wert auf die Art und Weise der Berührung legen und es für sie durchaus ein wichtiges Thema in der Begleitung der Schwangerschaft ist.
Zwischenmenschlichkeit
Schwangere Frauen erwarten soziale Kompetenz im Umgang mit Berührung. Dies sollte in einem Berührungs- und Beziehungsberuf selbstverständlich sein. Eine der interviewten Frauen erwähnt, dass Zwischenmenschlichkeit und Sympathie in der Beziehung zum Fachpersonal für sie besonders wichtig sind:
»[…] Es ist doch auch sehr wichtig, dass das Zwischenmenschliche auch stimmt. Wenn das für mich nicht stimmt, stimmt für mich die Berührung auch nicht. Also, ich lasse mich ungern von jemand anlangen, wo mir nicht sympathisch ist.« (Interview Nr. 9)
Die Befragte signalisiert deutlich, dass sie sich nicht von einer Person berühren lassen möchte, mit der sie sich nicht wohlfühlt oder die ihr nicht sympathisch ist. Für die Hebammenarbeit bedeutet dies eine große Herausforderung. Vertrauen und Achtsamkeit spielen ebenfalls eine entscheidende Rolle, da die Hebamme sich häufig in sensiblen und intimen Berührungs- und Beziehungssituationen bewegt. Die Frauen legen bei Berührung Wert auf warme Hände. Eine Ankündigung, falls die Hände kalt sind, ist erwünscht (Interview Nr. 6).
Qualität der Berührung
Die Qualität einer Berührung ist etwas Persönliches. Eine Berührung kann ganz unterschiedlich ausgeführt und als angenehm oder unangenehm erlebt werden. Eine Beschreibung zur Berührungsqualität aus Sicht einer Studienteilnehmerin lautet:
»[…] eigentlich soll es wie stark und feinfühlig gleichzeitig sein. Sollst schon merken, dass die Person weiß, was sie macht, aber sie hat auch das Feingefühl.« (Interview Nr. 3)
In dieser Aussage wird klar, welche komplexen Kriterien die Berührung erfüllen sollte. Hier soll sie gleichzeitig Behutsamkeit und Souveränität der Fachperson ausdrücken.
Kommunikation
Durch die Interviews ist deutlich geworden, dass die verbale Kommunikation vor einer Berührung eine zentrale Rolle spielt.
»[…] einfach erklären, was jetzt gemacht wird. Warum sie an meinem Bauch herumdrücken oder was auch immer. Und das finde ich halt dann schon einen anderen Weg, als wenn man einfach vorgeht und nichts mitgeteilt bekommt.« (Interview Nr. 9)
Für diese Frau ist die Kommunikation vor und während der Berührung von großer Bedeutung. Grundsätzlich hat sich gezeigt: Während der Berührung soll kommuniziert werden. Die Frauen möchten vor der Berührung gefragt werden und das Einverständnis soll abgewartet werden. Sie möchten über den Zweck der Berührung informiert werden.
Der Behandlungsraum
Die Umgebung kann Einfluss auf das Wohlbefinden und Erleben der Berührung haben. Eine Frau beschreibt, dass zu viele Personen im Raum bewirken, dass »alles nicht mehr stimmt«.
»Wenn es zu viel Leute hat, ganz egal was für ein Raum, dann stimmt alles nicht mehr. Das sind mehr die Personen, die anwesend sind, und nicht der Raum, der es ausmacht.« (Interview Nr. 3)
Die Fachperson, die sie betreut und berührt, hat für die Frau also mehr Bedeutung als die fremde Umgebung. Auch die Anzahl der Personen im Raum während der Berührung hat einen bedeutenden Einfluss auf das Wohlbefinden dieser Frau.
Zeit
Berührung wird als unangenehm empfunden, wenn das Fachpersonal in Eile ist. Eine Frau beobachtet außerdem, dass sie die Berührung als angenehmer empfindet, wenn sie selbst entspannter ist.
» […] aber so eine Massage oder etwas wo man weiß, es ist nicht dringend, ist angenehmer gewesen.« (Interview 9)
Fazit
Die genannten Aspekte zu den Bedürfnissen und Wünschen der Frauen zu gelingender Berührung in der Schwangerschaft durch Fachpersonen sollten in der Hebammenarbeit berücksichtigt werden. In die Hebammenausbildung und auch in Lehrbüchern sollte das Thema Berührung implementiert werden. Weitere Forschungsarbeiten sind wünschenswert, um gezielter und detaillierter die Bedürfnisse und Wünsche zu erkennen und eine bessere Umsetzung in der Praxis vorzubereiten.
Mehrere Autorinnen sind sich einig, dass Selbsterfahrung von Berührung für Pflegende sowie Hebammen und ihre Arbeit von hoher Bedeutung sind. Konkrete Vorschläge liefern zum Beispiel die Atemtherapeutin Moia Grossmann-Schnyder, die in ihrem Leitfaden für Berührungs- und Beziehungsberufe Übungen zur Selbsterfahrung mit Berührung vorstellt (Grossmann, 2000).
Die Pflegefachfrau Annette Berggötz hat das Konzept »respectare« entwickelt, um mehr Bewusstsein und Achtsamkeit im Umgang mit Berührung in der Pflegepraxis zu fördern (Berggötz, 2013). Ein mögliches Lehrmittel für die Hebammenausbildung wurde im Jahr 2022 erstmals veröffentlicht: das erste «Lehrbuch Haptik» im deutschsprachigen Raum (Müller et al., 2022). Die Wahrnehmung der Berührung ist ein Teilbereich der Haptik. Wertvolle Grundlagen und Anwendungen in Therapie, Pflege und Medizin werden vorgestellt. Besonders hervorzuheben ist das Kapitel über die Relevanz von Berührung während Schwangerschaft und Geburt wie auch für die frühkindliche Entwicklung. Damit ist das Thema Berührung auch in die Hebammenausbildung zu implementieren.
Die Dozierenden in der Hebammenausbildung Ute Lange und Verena Schmid sind sich einig, dass professionelle Berührung in Berührungs- und Pflegeberufen gelernt werden sollte. Ansätze hierfür sind beispielsweise der Studiengang Salutophysiologie für Hebammen (heute Hebammenwissenschaft) an der FH Salzburg und einzelne Module zum Thema Körperarbeit an der Fachhochschule Bern (siehe auch Seite 30ff.) (Lange, 2017; Schmid, 2011). Auch neuseeländische Hebammenforscherinnen plädieren dafür, dass die Bedeutung der Berührung im Bewusstsein aller Hebammen nachhaltig verankert werden sollte (Blee & Dietsch, 2012).