Die geburtshilflich-gynäkologische Sammlung der Universitätsmedizin Greifswald sucht neue Räume. Ihre Herzstücke stammen aus der privaten Sammlung von Beckenmessinstrumenten des Geburtshelfers und Gynäkologen Prof. Günter Köhler. Einige wirken wie Folterwerkzeuge und führen den medizinischen Fortschritt drastisch vor Augen.
Nach 25 Jahren ist Schluss mit der Greifswalder Sammlung von historischen geburtshilflichen und gynäkologischen Instrumenten und historischen Kontrazeptiva. Mit etwa 900 Exponaten und einigen Großgeräten in zehn Räumen war es die größte zusammenhängende Sammlung ihrer Art in Deutschland.
Historische Beckenmessgeräte
Wesentlicher Bestandteil der Sammlung waren Beckenmessgeräte, sogenannte Pelvimeter. Es gibt innere und äußere Pelvimeter, letztere meist Beckenzirkel genannt. Zu den Sammlungsschätzen gehört auch ein Instrumentensatz zur direkten Messung der Conjugata vera, des geburtshilflich relevantesten Beckenmaßes, der 1904 von dem Lemberger Geburtshelfer Prof. Ludwig von Bylicki (1846–1931) entwickelt wurde. Der »Winkelhebel« genannte Conjugatamesser ist ein zweifach abgewinkelter Metallstab, der mit dem geraden Teil unter Führung der Hand wie bei der digitalen Messung in die Scheide eingeführt und zwischen Promontorium und Symphysenhinterwand eingezwängt wurde (siehe Abbildung 1).
Abbildung 1: Die Bylicki-Stäbe wurden mit dem geraden Teil unter Führung der Hand wie bei der digitalen Messung in die Scheide eingeführt und zwischen Promontorium und Symphysenhinterwand eingezwängt.
Foto: © Jan Zude, Greifswald
Zu diesem Bylicki-Satz gehörten neun verschieden lange Stäbe, die sich in der Länge des Messarmes um jeweils 1⁄4 cm unterschieden. Man suchte denjenigen aus, der gerade noch zwischen die beiden Knochenstrukturen einführbar war und konnte so das Maß ziemlich genau bestimmen. Die Messung war schmerzhaft und konnte sich daher wie auch andere innere Pelvimeter – wie der von Georg Wilhelm Stein d. Ä. (1731–1803) – nicht durchsetzen. Letzterer ähnelte einer Art Pistole mit vier gebogenen Metallstäben, die von innen gegen die Knochenstrukturen gedrückt wurden, um dann die entsprechenden Durchmesser abzulesen (siehe Abbildung 2).
Abbildung 2: Der Pelvimeter von Georg Wilhelm Stein d. Ä. ähnelt einer Pistole mit vier gebogenen Metallstäben, die von innen gegen die Knochenstrukturen gedrückt wurden, um so die Durchmesser abzulesen.
Quelle: Dietzel & Teufel, 2010
Heute erscheinen die Instrumente wie Folterwerkzeuge. Die Frauen haben bei deren Anwendung meist sehr gelitten, auch wenn dadurch häufig ihr Leben und das des Kindes gerettet werden konnte. Bis ins letzte Drittel des 19. Jahrhunderts, als Beckendeformitäten durch Rachitis, Spondylitis und Osteomalazie noch häufig waren und ein Kaiserschnitt überwiegend tödlich ausging, konnte in entsprechenden Fällen eine Geburt ohne operativ-instrumentelle Hilfe für die Frau und das Kind schnell lebensgefährlich werden. Vor der Kaiserschnittära gab es zur Behandlung einer kritischen Beckenenge oft nur drei Möglichkeiten: Verkleinerung des Geburtsobjekts, also des Fetus durch Zerstückelung, Erweiterung des Beckens durch Zersägen beziehungsweise Durchschneiden von dessen knorpeligen (Symphysiotomie) oder knöchernen Strukturen (Hebosteotomie, Pubotomie) oder die Einleitung einer Frühgeburt, die nach Aufdehnung des Gebärmutterhalses mittels Dilatatoren und nachfolgender Blasensprengung provoziert wurde.
Um ein zu enges Becken beziehungsweise ein Missverhältnis vorgeburtlich zu erkennen, entwickelte man zahlreiche Pelvimeter, die fast alle nicht mehr verwendet werden. Die früher häufigen Beckenverformungen gibt es glücklicherweise so gut wie gar nicht mehr.
Anfang und Ende der Ausstellung
Den Grundstock bildete eine Sammlung von Prof. Dr. Siegfried Stephan (1883–1948), der ab 1910 an der Universitäts-Frauenklinik Greifswald arbeitete und ab 1922 Direktor der Hebammenlehranstalt und ab 1931 der Landes-Frauenklink Stettin war. Er hatte schon seit 1915 historische Instrumente gesammelt, teilweise bis ins Mittelalter zurückreichend. Auf dem Dachboden der Greifswalder Universitäts-Frauenklinik fand Prof. Günter Köhler 1974, seinerzeit Assistenz-Arzt, später Hochschullehrer und stellvertretender Direktor, die Sammlung. Köhler stellte sie erstmals 1978 anlässlich der Hundertjahrfeier der Frauenklinik aus.
Zur Erweiterung der Sammlung trugen auch die langjährigen Oberhebammen der Klinik, Anni Ulrich und Regina Griep, bei, die nicht mehr verwendetes geburtshilfliches Material gesichert hatten. Einige geburtshilfliche Instrumente wie der Blondsche Dekapitationsfingerhut mit mehreren Gigli-Sägen gehörten noch bis 2002 zum sogenannten Kreißsaalsieb (siehe Nachgefragt). Sie waren jedoch seit Jahrzehnten nicht angewendet worden.
Abbildung 3: Der Blondsche Fingerhut diente zur Abtrennung des kindlichen Kopfes bei der vaginalen Operation einer Querlage, um wenigstens die Mutter zu retten.
Die Ausstellung beinhaltete zuletzt Geburtshilfe, Fetus und Neugeborenes, konservative und operative Gynäkologie, Klystiere, Verhütungsmethoden sowie die geburtshilflich-gynäkologische Lehre. Zu letzterer gehörten Formalinpräparate, Wachsmoulagen, Keramikmodelle und geburtshilfliche Atlanten aus dem 18. Jahrhundert mit Kupferstichen, historisches Fotomaterial sowie Bilder des Universitätsmalers Emil Häger.
Abbildung 4: Mit der Gigli-Säge konnte im Gegensatz zu anderen Kopfabtrennungsmethoden die Mutter nicht verletzt werden. Sie wurde auch zur Pubotomie verwendet.
Foto: © Jan Zude, Greifswald
Nach 50 Jahren Sammlungsbetreuung ist Günter Köhler im Januar dieses Jahres mit fast 81 Jahren in Rente gegangen. Über die Hälfte der Sammlungsstücke einschließlich Beckenmessgeräte waren Leihgaben von ihm. Nun befinden sie sich wieder in Kisten. Die anderen Exponate wie geburtshilflichen Zangen, Operationsinstrumente und anatomische Präparate wurden in andere Räume der Universitätsmedizin überführt. Ein trauriges Jubiläum, wenn auch Köhler optimistisch bleibt, dass es irgendwie weitergeht.