Spätestens nach der Geburt oder im Rückbildungskurs kommt im Hebammenalltag das Thema Beckenboden auf. Typische Fragen sind: »Was darf/kann ich tun?«, »Wann darf ich wieder richtigen Sport machen?« Und: »Ist das eigentlich normal?«
Bereits im Wochenbett ist es von Vorteil für alle Beteiligten, mit einem neuen objektiven Fragebogen in einem ersten Screening möglichen Handlungsbedarf zu erkennen. Im Anschluss kann die Hebamme aufgrund der Auswertung eine Empfehlung für eine gezielte Beckenboden-Physiotherapie aussprechen.
Veränderungen des Beckenbodens
Unbestritten sind Schwangerschaft, Geburt und Rückbildung eine Herausforderung für den weiblichen Körper. Die enormen körperlichen Leistungen und Anpassungen sind vielfältig. In der Therapie können Physiotherapeut:innen, die speziell in der Geburtshilfe, Gynäkologie und Beckenbodentherapie fortgebildet sind, präventiv eingreifen, Schmerzen lindern und die Rehabilitation unterstützen.
Der Beckenboden wird nicht nur während der Geburt sehr beansprucht, sondern auch schon in der Schwangerschaft, unabhängig vom späteren Geburtsmodus. Durch das wachsende Gewicht des Kindes und des Uterus, die Auswirkungen der hormonellen Veränderungen auf das Bindegewebe und die vorübergehende Verlängerung der Nervenleitgeschwindigkeit des N. pudendus wird das Muskelsystem stark gefordert. Darüber hinaus können auch der verringerte urethrale Verschlussdruck und nicht zuletzt die Veränderung in der Statik und der Biomechanik Probleme bereiten.
Bei der vaginalen Geburt kann es zu muskulären Verletzungen des Dammes durch Risse oder Episiotomie und teilweise zu okkulten Verletzungen des M. sphincter ani externus, faszialen oder Bindegewebsverletzungen (Symphysenproblematik), neurogenen und ossären Verletzungen des Os coccygeus kommen. Als Folgen können unter anderem Harninkontinenz, Stuhlinkontinenz, Organsenkungen, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr und Rückenschmerzen auftreten. In der laufenden Studie BREST (Beckenboden-REhabilitations-STudie) von Dr. Rainer Lange vom Klinikum Worms hatten 28,3 % der Erstgebärenden nach vaginaler Geburt eine Harninkontinenz und 27,5 % der Mehrfachgebärenden.
Studien zur Beckenbodentherapie
Abgeschlossenen Studien zufolge kann spezielle Beckenbodenphysiotherapie in der Schwangerschaft die Episiotomie-Rate senken und die Dauer der zweiten Geburtsphase verkürzen (Morkved 2003). Ein funktionelles Beckenbodentraining in der Schwangerschaft führt laut Kari Bø aus Oslo nicht zu einer erhöhten Rate vaginal operativer Geburten und perinealer Traumata (Bø 2009).
Was die Therapie nach der Geburt betrifft, plädieren Chantale Dumoulin und ihr Team von der Universität Montreal für eine Anleitung durch Physiotherapeuten:innen, individuelle wöchentliche Rehabilitation und ein progressives Heimübungsprogramm (Dumoulin et al. 2004). So könne man den betroffenen Frauen bestmöglich helfen, die Spätfolgen verringern und einen langen Leidensweg in späteren Lebensjahren vermeiden. Idealerweise sollten speziell für den Beckenboden fortgebildeten Therapeut:innen die Physiotherapie anleiten. Sie können in diesem hochkomplexen Zusammenspiel des Muskelsystems im Beckenboden und dem Rest des Körpers für jede Frau das optimal angepasste Behandlungsprogramm erstellen. Auf der Homepage der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologie Geburtshilfe Urologie Proktologie (AG GGUP) im Deutschen Verband für Physiotherapie ist eine Therapeut:innenliste zu finden (siehe Links).
Nutzen für Hebammen
Doch wie genau ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Nutzen und wie kann diese objektiv umgesetzt werden?
Bei den möglichen Verletzungen und Beeinträchtigungen der Frauen ist es wichtig, dass Hebammen und Beckenbodenphysiotherapeut:innen auf Augenhöhe zusammenarbeiten. Durch ein gut funktionierendes Netzwerk können sie Hand in Hand arbeiten, um die Schwangeren und Wöchnerinnen gezielt an die jeweils passende Stelle zu verweisen. Das kann die Zufriedenheit auf allen Seiten steigern. Zur Frage der Umsetzung habe ich mit den Hebammen Katrin Schröter und Hanna von Elm aus Bad Nauheim einen Screeningbogen für das Wochenbett entwickelt. Ziel ist es, mögliche Probleme des Beckenbodens früh zu erkennen, einschätzen zu können und den Wöchnerinnen Zugang zu Informationen und Hilfe zu geben. Der Weg soll wegführen vom Gefühl des »Rätselns«, ob eine Frau mehr Unterstützung nötig haben wird im Verlauf der Rückbildungszeit, hin zu einem objektiven Fragebogen, der Indikationen für eine begleitende oder vorausgehende Einzeltherapie zusätzlich zum Rückbildungskurs aufzeigt.