Die Sozialwahl spiegelt die demokratische Teilhabe an den Entscheidungen der Krankenkassen wider. Foto: © imago/suedraumfoto

Über die Sozialwahlen können alle Versicherten die gesundheitliche Versorgung in Deutschland aktiv mitgestalten – auch Hebammen sollten diesen Weg nutzen, um ihren Forderungen Gehör zu verschaffen. Das Beispiel der Krankenkasse Barmer GEK zeigt, wie engagierte Mitglieder der Selbstverwaltung die Gesundheitsversorgung von Familien voranbringen bringen können.

Alle sechs Jahre steht sie an, die Sozialwahl. Und immer noch wissen viele Menschen nicht genau, was sich dahinter versteckt. Dabei ist sie, wenn man die Zahl der Wahlberechtigten betrachtet, die drittgrößte Wahl in Deutschland hinter der zum Deutschen Bundestag und der zum Europäischen Parlament. Bei der letzten Sozialwahl im Sommer 2011 waren rund 48 Millionen Versicherte aufgerufen, die Mitglieder- und Versichertenparlamente bei ihren Sozialversicherungsträgern neu zu wählen. Leider haben nur rund 30 Prozent von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht. Für die nächste Wahl in 2017 hoffen alle Beteiligten auf eine größere Teilnahme.

Den Wahlberechtigten muss verdeutlicht werden, dass die Selbstverwaltung der Krankenkassen die demokratische Teilhabe sichert und eine Grundfeste unseres Sozialsystems darstellt. Die Sozialwahl spiegelt das wider, was viele Menschen dieser Tage fordern: ein Mitspracherecht an den Entscheidungen, deren Auswirkungen sie in ihrem Leben direkt betreffen. Ein Beispiel dafür aus dem Bereich der freiwilligen Leistungen ist die Übernahme der Kosten für homöopathische oder osteopathische Behandlungen. Aktiv mitentscheiden und die eigene Interessenvertretung stärken sind die Kernaspekte der Sozialwahl. Das wollen auch die Hebammen in Deutschland: ihre Interessen vertreten sehen und an Entscheidungen beteiligt werden. Es ist also an der Zeit, dass auch sie die Möglichkeiten der Sozialwahl und der Selbstverwaltung der Krankenkassen für sich entdecken und nutzen.

Gewählte Verwaltungsräte

In den gesetzlichen Krankenversicherungen kommt die Aufgabe der Selbstverwaltung den Verwaltungsräten zu. Bei den allermeisten Krankenkassen teilt sich der Verwaltungsrat in VertreterInnen der Versicherten und der Arbeitgeber auf. In getrennten Wahlen wählen beide Gruppen die Personen aus, die sie in den Verwaltungsrat entsenden wollen. Es gibt allerdings auch Kassen, bei denen der Verwaltungsrat ausschließlich durch die Mitglieder gewählt wird, ganz nach dem Motto „Von den Betroffenen – für die Betroffenen.” Dies ist zum Beispiel bei der Barmer GEK der Fall, bei der ich für die Barmer GEK-Versichertenvereinigung (www.barmergek-vv.de) seit 2005 im Verwaltungsrat sitze. Ich bin Vorsitzende des dortigen Ausschusses für Prävention, Versorgung, Rehabilitation und Pflege. Die Organisation der Selbstverwaltungen der Kassen ist sehr verschieden und die der Barmer GEK ist differenzierter als bei manch anderen. Zum Beispiel haben andere Kassen nicht so viele thematisch differenzierte Ausschüsse, sondern beispielsweise nur das Organ des Verwaltungsrats. Bei der Sozialwahl stellen sich die KandidatInnen in sogenannten Vorschlagslisten zur Wahl, die von verschiedenen Organisationen und Vereinigungen aufgestellt werden. Ähnlich wie politische Parteien stehen auch die Vorschlagslisten im Wettbewerb zueinander. Das Recht, Vorschlagslisten einzureichen, haben zum Beispiel Gewerkschaften und Arbeitnehmervereinigungen mit sozial- und berufspolitischen Zielen. Auch Mitglieder können unter bestimmten Voraussetzungen eigene Vorschlagslisten einreichen. Die Mitglieder der Verwaltungsräte üben ihr Mandat ehrenamtlich aus. Sie sind in ihrem Handeln dem Wohl der Versicherten besonders verpflichtet. Diese haben sie schließlich als ihre Vertreterinnen und Vertreter in die Verwaltungsräte gewählt.

Die Verwaltungsräte bestimmen die gesundheits-, sozial- und unternehmenspolitische Grundausrichtung der Krankenkassen. Sie beschließen unter anderem die Satzungen und die Leistungen, die die Kassen zusätzlich zu den gesetzlich festgeschriebenen Leistungen für ihre Mitglieder gewähren können. Sie wählen und kontrollieren die Vorstände. Sie beschließen die Haushalte und entscheiden somit über den Einsatz der Beitragsgelder. Damit sind sie an allen Entscheidungen beteiligt, die für die Kassen grundsätzlich wichtig sind und die Versicherten direkt betreffen. Die Mitglieder der Verwaltungsräte sind zudem AnsprechpartnerInnen für die Versicherten vor Ort. So sind sie auch für die Politik ein wichtiger Dialogpartner, wenn es um die bürgernahe Gestaltung des deutschen Gesundheitswesens geht. Ein Beispiel dafür ist der erfolgreiche Einsatz des Verwaltungsrates der Barmer GEK für höhere Sicherheitsstandards bei Medizinprodukten.

Die VersichertenvertreterInnen in den Widerspruchsausschüssen, die wie die Mitglieder der Verwaltungsräte ehrenamtlich tätig sind, werden ebenfalls von den Verwaltungsräten gewählt. Die Ausschüsse sind ein wichtiger Bestandteil der Selbstverwaltung. In ihnen können Versicherte Entscheidungen der Krankenkassen kostenlos und durch die Brille unabhängiger Versicherter überprüfen lassen.

Die Verwaltungsräte sind also die zentralen Gremien der Krankenkassen. Hier sollten auch Hebammen und ihre Belange präsent sein – entweder selbst als Versichertenvertreterinnen oder aber durch systematische Kontakte zu den Selbstverwaltenden. Hier müssen ihre Nöte und Forderungen bekannt sein, damit die VersichertenvertreterInnen meinungsbildend in den Krankenkassen wirken können. Dann können die Anliegen der Hebammen auch von dort den Weg in das Gesundheitssystem finden.

Nutzen für die Versicherten schaffen

Wenn es um die Gestaltung der Leistungen im Interesse der Versicherten geht, sind die gewählten VertreterInnen in der Selbstverwaltung am Zug. Ihr Ziel sollte immer sein, dass bei allen notwendigen Auseinandersetzungen um die Finanzierung unseres Gesundheitssystems der Mensch im Mittelpunkt steht und die Teilhabe am medizinischen Fortschritt gesichert bleibt.

Das muss meines Erachtens auch für das Arbeitsfeld von Hebammen gelten. Für die Schwangerenvorsorge, die Geburtshilfe und die Wochenbettpflege würde das konkret bedeuten, einen Paradigmenwechsel im Interesse der (werdenden) Mütter und Väter zu vollziehen: von der Risiko- und Krankheitsdefinition, in die Schwangerschaft und Geburt heutzutage viel zu oft „verschoben” werden, zum salutogenetischen Ansatz, der von der Fähigkeit der Frauen zu gebären und der Kinder, geboren zu werden, ausgeht. Unterstützung und Beratung: ja, aber keinesfalls die fast automatische Verbuchung als Krankheitsfall.

Das ist nicht nur für die Familien und die Hebammen ein wichtiger und überfälliger Schritt. Er ist auch im Sinne der Krankenkassen, denn in einer von sicherer Erwartung und Vertrauen geprägten Haltung geschieht weniger Schaden als in einer von unterschwelliger Unsicherheit und Angst bestimmten Situation. Eine solche Entwicklung kann sicherlich nicht von heute auf morgen gelingen. Sensibilisieren für die Situation und versuchen, eine Veränderung anzustoßen, das kann und muss aber dringend geschehen, auch in den Verwaltungsräten der Krankenkassen.

Schließlich legen die Verwaltungsräte mit ihren Impulsen oftmals den Finger in die Wunde und greifen Themen auf, die im Alltag eine wichtige Rolle spielen, wie zum Beispiel Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen, insbesondere Mädchen, oder die ausufernden Individuellen Gesundheitsleistungen – kurz IGeL. Immer häufiger werden PatientInnen in Wartezimmern mit Informationen zu speziellen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden oder Labortests konfrontiert. Was als objektive Information daherkommt, ist in Wirklichkeit oftmals Beleg für die zunehmende Kommerzialisierung der Medizin.

Gerade für werdende Eltern ist dies eine Herausforderung. Wer sich vor überflüssigen, unter Umständen sogar schädlichen und teuren Angeboten schützen möchte, sollte erst kritisch hinterfragen und den Nutzen klären. Aus dem Grund hat zum Beispiel der Verwaltungsrat der Barmer GEK konkrete Informationsmöglichkeiten initiiert und befördert, um Versicherten eine fundierte Entscheidungshilfe zu bieten. Dies sind beispielsweise Broschüren zur Entscheidungsfindung für die mögliche Teilnahme am Mammografiescreening, zur Normalität der Wechseljahre, zum Schwanger-Sein-„Können” – also gegen die Risikozuschreibung oder zur Problematik des Kaiserschnittes. Wieso sollten die Verwaltungsräte demnach nicht auch bei den Themen Schwangerenvorsorge, Geburtshilfe und Wochenbett den Finger in die Wunde legen?

Klausurtagungen bahnen Beschlüsse

59 Prozent der Mitglieder und 62 Prozent der Beschäftigten der Barmer GEK sind weiblich, was für ihre Frauen- und Familienorientierung spricht. 2011 setzte der Verwaltungsrat mit seiner Entscheidung für eine Quote ein starkes Zeichen für Frauenförderung auch nach innen: In den nächsten Jahren soll der Anteil von Frauen auf allen Führungsebenen schrittweise auf 50 Prozent angehoben werden.

Mit konkreten Projekten für die Versicherten unterstreicht die Barmer GEK ihre Ausrichtung auf Familien. Hebammen leisten aus der Sicht des Verwaltungsrats einen wesentlichen und unverzichtbaren Beitrag für die gesundheitliche Versorgung von Schwangeren und Familien. Daher hat der Barmer GEK-Verwaltungsrat etwa das Leistungsangebot rund um Schwangerschaft und Geburt mit der Kostenübernahme der Hebammenrufbereitschaft als Satzungsleistung erweitert. Anfang 2012 habe ich als Vorsitzende „meines” Ausschusses die Lebensphase Schwangerschaft-Geburt-Wochenbett zum Inhalt einer Klausurtagung gemacht. Klausurtagungen bahnen die Beschlüsse zukünftiger Entwicklungen an. Und auch das Bremer Bündnis zur Unterstützung der natürlichen Geburt, das ich als Bremer Landesfrauenbeauftragte gemeinsam mit dem Gesundheitssenator Anfang des Jahres initiiert habe, wird als Kampagne zur Senkung der Kaiserschnittrate von der Barmer GEK ausdrücklich befürwortet und gefördert.

Selbstverständlich werden nicht alle Impulse gehört und entsprechend umgesetzt. Es wäre vermessen, das zu glauben. Dann wären wir auch bei der Gebührenproblematik der Hebammen schon weiter.

Die Selbstverwaltung ist ein bewährtes, unverzichtbares Element unseres Gesundheitssystems. Sie bildet das Scharnier zwischen den Menschen und den Sozialversicherungsträgern. Um das Gesundheitssystem weiterhin bürgernah und im Sinne der Versicherten zu entwickeln, muss es unser aller Ziel sein, die Wahrnehmung und die Akzeptanz der Selbstverwaltung der Krankenkassen und der Sozialwahlen weiter zu erhöhen und ihren konkreten Nutzen erlebbarer zu machen. Ein Schritt in eine Zukunft, in der Sozialwahlen und Selbstverwaltung einen selbstverständlichen Platz im Leben der Menschen einnehmen, könnten Onlinewahlen sein.

Hebammenarbeit aufwerten

Bislang ist die Sozialwahl eine reine Briefwahl. Durch den Ausbau zu einer Onlinewahl könnten Zielgruppen angesprochen werden, die über eine traditionelle Wahl nur schlecht oder gar nicht erreicht werden. Das würde eine höhere Beteiligung bei der nächsten Wahl 2017 wahrscheinlich machen. Wünschenswert ist zudem ein höheres Engagement von jungen Menschen und insbesondere von Frauen in der Selbstverwaltung. Im Verwaltungsrat der Barmer GEK beträgt der Anteil der Frauen ein Drittel, im Durchschnitt aller Sozialversicherungsträger sind es aber noch nicht einmal 20 Prozent. Hier gibt es also noch viel „Luft nach oben”, die auch die Hebammen ausnutzen können.

In den vergangenen Jahren ist es für Hebammen nicht leichter geworden. Extrem niedrige Gebühren und drastisch angestiegene Haftpflichtprämien haben vielen die Ausübung ihres Berufs zu kostendeckenden und gewinnbringenden Konditionen fast unmöglich gemacht. Die Selbstverwaltung der Krankenkassen bietet für Hebammen eine Möglichkeit, dieser Entwicklung entgegenzuwirken.

Die Themen der Hebammen sind inzwischen in den Krankenkassen angekommen. Der Grundstein für einen Dialog ist vorhanden. Nun sind für die Hebammen die Chance und die Zeit gekommen, dort anzusetzen und ihre Wünsche, aber auch ihre Sorgen und Nöte in die Gremien der Selbstverwaltung zu tragen. Die Forderung nach einer angemessenen und fachlich richtigen Organisation und Wertschätzung von Schwangerschaftsbegleitung, Geburtsvorbereitung, Geburtshilfe, Wochenbettpflege und frühen Hilfen in den Leistungskatalogen der Krankenkassen gehört genau hierhin, in die Verwaltungsräte. Die Aufwertung dieser Arbeit ist lange überfällig. Einer der Wege, wie diese erreicht werden kann, ist der über die Selbstverwaltung der Krankenkassen. Nutzen Sie die Spielräume, die sich Ihnen bieten!

Zitiervorlage
Hauffe U: Sozialwahlen: Die Stimme der Versicherten. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2013. 65 (10): 24–27
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