Die Hebamme und Studentin Christina Straub untersucht eine Schwangere im St. Elisabeth Hospital in Arusha Foto: © Privates Archiv Christina Straub

Eine Mainzer Hebammenstudentin berichtet von ihrem Auslandspraktikum in Tansania. In der Großstadt Arusha nahe des Kilimandjaro arbeitete sie im St. Elisabeth Hospital. Sie machte dort beeindruckende Erfahrungen.

“Milima haikutani, lakini binadamu hukutana.”– „Berge treffen sich nicht, aber Menschen treffen sich.” Dieses tansanische Sprichwort auf Swahili hat meine Zeit in Afrika von Beginn an geprägt. Es steht auch nach meinem elfwöchigen Aufenthalt für all die Erfahrungen, die ich dort machen durfte.

Ich studiere „Gesundheit & Pflege” im Fachbereich Hebammenwesen mit Schwerpunkt Pädagogik an der Katholischen Hochschule Mainz. Zum Studium gehört ein fachwissenschaftliches Praktikum, das auch weltweit in den Semesterferien absolviert werden kann. Genau diese Chance wollte ich ergreifen – denn wer weiß, ob sich solch eine Möglichkeit im Leben noch einmal bietet?

Arbeiten am Fuße des Kilimandjaro

Schon früh stand fest, dass ich das Praktikum in Tansania machen würde, und zwar in Arusha, einer Stadt mit etwa 540.000 Einwohnern in der Nähe des Kilimandjaro. Durch meine Schwester Beatrice, die dort unter anderem als Missionarin auf Zeit ein Jahr verbrachte und schließlich den Verein „Tuko Tayari” gründete, entstand der Wunsch, ihr „zweites Zuhause” einmal kennenzulernen. Meine Schwester vermittelte mir vorher Grundkenntnisse der Landessprache Swahili. Schnell war der Kontakt zu Joyce Sagala, der Projektleiterin des Vereins vor Ort, hergestellt. Sie begegnete mir im Mailverkehr stets mit den Worten: „Karibu Tanzania!” – „Willkommen in Tansania!” Sie vermittelte mir auch den Praktikumsplatz im St. Elisabeth Hospital in Arusha, da sie dort vor einigen Jahren leitende Oberschwester war.

An der Hochschule erkundigte ich mich nach finanziellen Fördermöglichkeiten für ein Auslandspraktikum. Ich bewarb mich um ein PROMOS-Reisekostenstipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) – mit Erfolg. Nun konnte es losgehen. Ich begab mich auf die Erfahrungsreise meines Lebens.

Glücklicher Weise erwartete mich am Kilimandjaro-Airport meine Schwester Beatrice, die zur selben Zeit in Tansania war. So konnte meine Angst vor dem fremden Kontinent gemindert werden. Gemeinsam lebten wir bei einer Familie, deren Wohnung nicht weit entfernt von meinem Arbeitsplatz war. Das Abenteuer in der „anderen Welt” startete mit skurrilen Erlebnissen, wie der „Eimerdusche”: das heißt Wasser kochen, wenn ein Gasherd verfügbar ist, ansonsten kalt, mit einem kleinen Gefäß aus dem Eimer das Wasser schöpfen und sich abspülen. Dann der verrückte, mich leicht überfordernde Verkehr und das Treiben auf der Straße. Und von überall her die „Mzungu”-Rufe, was so viel bedeutet wie „Weiße”. In der Stadt besorgten wir noch einen weißen Kittel für mich und am nächsten Tag begann ich zu arbeiten.

Bekanntes und Ungewohntes

Das St. Elisabeth Hospital (SEHA) in Arusha gibt es seit 1975. Erst eine Apotheke, später dann zum Krankenhaus umfunktioniert, ist es die zweitgrößte Klinik in der Umgebung mit circa 120 MitarbeiterInnen und 100 Betten. In Bereichen wie der Chirurgie, Kinderheilkunde, Augenheilkunde und Beratung bei HIV und AIDS, Tuberkulose und Malaria wird stationär und ambulant behandelt. Laut Aussagen von MitarbeiterInnen werden dort im Jahr etwa 1.500 Kinder geboren. Die Sectiorate liegt bei etwa fünf pro Monat. Die Frauen kommen meist direkt aus Arusha oder aus den umliegenden Gebieten.

Foto: © Privates Archiv Christina Straub

Foto: © Privates Archiv Christina Straub

Der Einsatzbereich meines Praktikums war die Schwangerenvorsorge des St. Elisabeth Hospitals in einem separaten Gebäude. Dort fanden die Schwangerenvorsorge und auch die Kontrolltermine für die Kinder zum Impfen und Wiegen statt. Täglich erschienen dort etwa 25 bis 30 schwangere Frauen und genauso viele Eltern mit ihren Kindern. Eine ambulante oder mobile Vorsorge für die Familien im ländlichen Gebieten gibt es dort nicht.

In der Schwangerenvorsorge arbeitete Hebamme Alodia. Ich nannte sie Mama Alodia, was sie durch unsere Zusammenarbeit tatsächlich ein Stück weit für mich wurde. Sie begrüßte mich, wie auch alle anderen vor Ort, sehr herzlich, unvoreingenommen und freundlich. Alodia zeigte mir alles, stellte mich den KollegInnen vor und führte mich in die Abläufe der tansanischen Schwangerenvorsorge ein.

Nach kurzer Zeit waren Alodia und ich ein eingespieltes Team. Sie hatte im Vorraum den Blutdruck, das Gewicht und die Größe, mögliche Risiken und die Schwangerschaftswoche ermittelt, welche sich dort weniger am Tag der letzten Periode orientiert, weil viele Frauen sich diesen nicht gemerkt haben. Meistens richtet man sich nach den Ergebnissen der äußeren Untersuchungen. Anschließend kamen die Frauen zu mir ins Nebenzimmer, wo ich Untersuchungen durchführte wie Leopoldsche Handgriffe, Leibesumfang- und Fundusstand-Messung sowie die Herztonkontrolle mit dem Pinard. Ich verabreichte Tetanusimpfungen und Tabletten zur Malaria- und Wurmprophylaxe. Die Kommunikation mit den Frauen war eine Mischung aus 80 Prozent Englisch, 10 Prozent Swahili und 10 Prozent nonverbaler Kommunikation – durch Gestik und Mimik.

Ungewohnt und neu waren für mich die HIV- und Syphilis-Schnelltests. Innerhalb weniger Minuten stand ein Ergebnis fest. War es ein negatives Ergebnis, überbrachte ich der Frau die freudige Nachricht. Bei einem positiven HIV-Test musste dies Alodia übernehmen, da meine Swahili-Kenntnisse dazu nicht ausreichten. Es waren schlimme Momente, einer Frau eine solche Nachricht überbringen zu müssen. Frauen, die positiv waren, wurden in ein Register eingetragen und erhielten antiretrovirale Medikamente.

Zwischendurch ging Alodia öfter in den Wartebereich der Vorsorge und hielt kurze Vorträge. Auf meine Frage, was sie den Frauen dabei erzähle, antwortete sie mir mit ruppigem Ton: „Man muss den Frauen hier sagen, was sie essen dürfen und wie sie sich in der Schwangerschaft zu verhalten haben! Die wissen einfach nichts!” Schwangerenberatung also, die sich für mich immer ein wenig wie eine kleine Standpauke anhörte.

Frauen in Tansania kommen im Durchschnitt erst in der 20. Schwangerschaftswoche zur ersten Vorsorge. Eine Schwangerschaft läuft dort „eher nebenbei” ab, ist nichts Außergewöhnliches. Genau deshalb hatte ich auch Fingerfarben im Gepäck. Für die Schwangeren war es zu Beginn etwas völlig Ungewohntes und Neues, dem Bauch solch eine Aufmerksamkeit zu schenken. Doch als sie merkten, wie schön und angenehm es ist und vor allem auch, als ihr Kind sich daraufhin bewegte, reagierten sie sehr positiv. Besonders schön war, dass auch zwei Ehemänner ihren Frauen an diesem Tag sehr liebevoll den Bauch bemalten. Alle Beteiligten hatten sichtlich Freude dabei.

Dopton – Segen oder Fluch?

Für Alodia hatte ich als Geschenk ein Dopton mitgebracht. An meinem ersten Tag brachte ich es mit ins Krankenhaus. Ich legte es aber erst einmal zur Seite, weil ich ausschließlich mit dem Pinard-Hörrohr arbeiten wollte. Natürlich sah Alodia es und wollte sofort von mir erklärt bekommen, wie es funktioniert. Sie war sehr ungeduldig im Umgang mit dem Dopton, wechselte ständig die Stelle am Bauch und gab recht schnell mit den Worten auf: „It doesn‘t work, Christina!” Ich zeigte ihr dann nochmal in Ruhe, wie man es richtig benutzt, und schließlich ertönten auch die Herztöne des Kindes im normocarden Bereich. Mama Alodia und die Frau freuten sich sehr. Alodia umarmte mich und bat Gott um Segen für mich. Die Schwangere konnte es gar nicht fassen, dass sie den Herzschlag ihres ungeborenen Kindes hörte. Es war ein sehr schöner Moment für uns alle.

Am gleichen Tag, also immer noch an meinem ersten Tag, kam eine Frau zu uns, die ihr erstes Kind erwartete. Sie war ungefähr drei Tage über Termin und verspürte regelmäßige Wehentätigkeit. Ich führte die äußeren Untersuchungen durch, mit dem Ergebnis, dass das Köpfchen schon tief im Becken saß. Alodia bat mich, erneut das Dopton zu benutzen. Als ich die Herztöne des Kindes fand, lagen diese zwischen 85 und 90 Schlägen pro Minute. Ich kontrollierte nebenbei den Puls der Mutter, der aber deutlich niedriger war. Alodia benutzte das Pinard, schaute etwas kritisch, sagte aber dann, dass alles gut sei. Mein Gefühl sagte mir etwas anderes, gerade weil die Frau uns erzählte, dass sie schon fast zwölf Stunden Wehen hatte. Dann waren Alodia und die Frau verschwunden. Diese Situation, dass ich mich also alleine in der Schwangerenvorsorge vorfand, kam später noch des Öfteren vor. Ich war auf mich gestellt und versuchte also die Vorsorgen weiter durchzuführen. Mit dem gebrochenen Englisch der Frauen und meinen großen Bemühungen in Swahili gelang dies auch tatsächlich.

Ungefähr eine Stunde später rief mich Alodia an diesem Tag in den Kreißsaal. Die Frau, die am Morgen bei uns in der Vorsorge war, lag nun mit vollständig geöffnetem Muttermund auf dem Kreißsaalbett und war kurz davor zu gebären. Mit uns befanden sich drei Schwestern und eine Ärztin im spärlich ausgestatteten Raum. Alodia hatte natürlich das Dopton in ihrer Kitteltasche und wollte es nochmal versuchen. Sie fand keine kindlichen Herztöne und behauptete dann, dass dies wohl an den leeren Batterien des Doptons liege. In mir stieg allmählich ein richtig ungutes Gefühl auf. Dann ging es plötzlich Schlag auf Schlag – das Kind kam nach nur zwei Presswehen zur Welt und zeigte keinerlei Lebenszeichen. Es kam sofort in das leider nicht mehr funktionsfähige Wärmebett, in dem bereits zwei Kinder quer lagen, und wurde mittels Herzdruckmassage und Beatmung durch eine Beatmungsmaske für Erwachsene reanimiert. Nach ungefähr einer Minute, die sich für mich wie eine Stunde anfühlte, fing das Kind an selbstständig zu atmen. Mutter und Kind seien wohlauf, hieß es dann. Für mich lief alles ab wie in einem Film. Von der fehlenden Kinderbeatmungsmaske über das einzige, dazu noch defekte Wärmebettchen, bis hin zu fragwürdigen Methoden und Verhaltensweisen, wie das Gesicht des Neugeborenen mit Wasser zu bespritzen – der Schock des ersten Arbeitstages saß tief.

Recht schnell bemerkte ich allerdings, dass dies wohl eine recht „normale” Situation war. Als ich am nächsten Tag auf die Wochenstation ging, ein großes Zimmer mit zehn Betten ohne Verpflegung, und die Frau besuchen wollte, war sie bereits nach Hause gegangen. Die meisten Frauen verlassen das Krankenhaus sehr schnell, da es für die Verwandten einfacher ist, die für viele afrikanische Länder übliche Versorgung durch die Verwandtschaft zu Hause zu übernehmen.

Ich machte mir noch sehr viele Gedanken über die Eindrücke meines ersten Tages und auch darüber, wie mit dem Dopton umgegangen wurde. Die Freude über den neuerrungenen Besitz war groß, teilweise belächelten sie aber auch die europäische Technik. Doch das wohl Schwierigste: Wie würde zukünftig auf pathologische Herztöne reagiert werden? In Tansania geht der Hebammenausbildung eine zweijährige Ausbildung zur Krankenschwester voraus. Jede „Nurse” wird danach ein Jahr lang im Hebammenwesen unterrichtet, sprich: Fast jede Nurse ist auch „Mkunga” (Hebamme).

„Don’t go back to Germany, Christina!”

Gegen Ende meines Praktikums habe ich Mama Alodia zu uns nach Hause zum Essen eingeladen. So wie es in der Klinik üblich ist, begann unser Essen mit einem Gebet. Das gemeinsame Beten mit allen MitarbeiterInnen morgens im Krankenhaus und vor jedem gemeinsamen Essen ist eine schöne Gewohnheit. Es bringt innere Ruhe und führt einem vor Augen, dass man für alles, was man hat, dankbar sein muss. Während des Essens mit Alodia konnte ich ihr in Ruhe alle Fragen stellen, die ich noch hatte. Es entstand ein Austausch unter Hebammen, denn auch sie war sehr an den Unterschieden zu Deutschland interessiert. Was mich sehr erschütterte war die Tatsache, dass kranke und zu früh geborene Kinder im St. Elisabeth Hospital nicht versorgt werden können und deshalb ins nahegelegene Mount Meru Hospital verlegt werden. Doch allein den Transport, der im Arm der Mutter in einem normalen Krankenwagen stattfindet, überleben viele der Neugeborenen nicht. Daraus entstand mein Wunsch, dem Krankenhaus mit einem gespendeten Wärmebettchen für den Kreißsaal und einem Transportinkubator zu helfen, damit die Kinder, die auf Erstversorgung und Überwachung oder auf eine Verlegung angewiesen sind, eine Chance haben zu überleben.

Mama Alodia war mir sehr dankbar für die Hilfe und Unterstützung. Sie hatte mich in unserer gemeinsamen Zeit genauso in ihr Herz geschlossen wie ich sie. „You are like a daughter to me. Don’t go back to Germany, Christina!” Der Abschied fiel schwer. Mein Mann, der mich für zwei Wochen in Tansania besuchte, hatte „Kleinigkeiten” mitgebracht, die ich an Alodia übergab, zum Beispiel Gravidogramme und einen Mutterpass aus Deutschland. „It is like a book, Christina!”, war ihr Kommentar.

Mehr Selbstvertrauen

Zurück in Deutschland folgte ein richtiger Kulturschock, der in Tansania überraschender Weise ausgeblieben war. Mein Engagement in der Vereinsarbeit für das Projekt „Inkubatoren fürs SEHA” zeigt schon erste Erfolge: Wir erhielten ein voll funktionsfähiges Wärmebettchen für den Kreißsaal.

Die Angst, die ich zu Beginn hatte, als frisch gebackene Hebamme ohne jegliche Berufserfahrung nach Tansania zu kommen, war unbegründet. In dieser Zeit merkte ich erst, wie viel Wissen und Erfahrung ich allein durch die Ausbildung und mein Studium besaß. Ich lernte, wie wahrscheinlich sonst nirgends, den nonverbalen Zeichen, meiner Intuition und meinem Geschick als Hebamme zu vertrauen.

Die Dankbarkeit und Herzlichkeit der Menschen und ihre Wertschätzung für Kleinigkeiten waren so immens und berührten mich sehr. Ein Blick über den Tellerrand in eine andere Kultur lohnt sich im Leben immer und ist eine unbeschreibliche Bereicherung. Während es dort an Materialien und finanziellen Mitteln mangelt, fehlt es uns hier an aufrichtigem Interesse und Zeit füreinander und dem Blick für das wirklich Wesentliche. Im Vergleich zwischen afrikanischen und deutschen Frauen bezüglich ihres Umgangs mit Schwangerschaft und Geburt fiel mir auf, dass afrikanische Frauen viel mehr Vertrauen in sich und ein sehr gutes Körpergefühl haben. Das wird das Thema meiner Bachelorarbeit sein. Und genau darin möchte ich in meiner Arbeit als Hebamme die (deutschen) Frauen bestärken. Denn egal an welchem Fleck der Erde ist nahezu jede Frau in der Lage, auf natürliche Art und Weise ein Kind zu gebären.

Der Verein

„Tuko Tayari” bedeutet „Wir sind bereit” und stammt aus dem Swahili, einer Bantusprache aus Ostafrika. Zweck des Vereins ist es, gezielt Projekte in Tansania und Kenia durchzuführen, die Lebensqualität schaffen oder verbessern. Dabei soll Unterstützung in den Bereichen Bildung, Beruf und Gesundheitsprävention geleistet werden.

Weitere Informationen unter: www.tuko-tayari.de

Zitiervorlage
Straub C: “Karibu Tanzania”. DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT 2014. 66 (3): 72–75
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