Geplant war eine Präsenzveranstaltung in Berlin. Unter Corona ist alles anders, aber manches nicht unbedingt schlechter: Trotz der schnellen Umstellung auf eine digitale Veranstaltung konnten alle Programmpunkte sehr gut bewältigt und besprochen werden. Es gab tolle Vorträge und es bestand zwischendurch auch die Möglichkeit zur Kommunikation. Alle Teilnehmerinnen waren per Video zugeschaltet, ihre Mikrofone mussten während der Vorträge auf stumm gestellt werden. In schnell organisierten Kleingruppen war es möglich, sich zwischendurch zu den vorgestellten Themen mit Kolleginnen auszutauschen und die Ergebnisse anschließend ins Plenum zu geben.
Die Fortbildungsbeauftragte des Deutschen Hebammenverbandes e.V. (DHV) Ute Petrus war mit der Organisation im Hintergrund beschäftigt und meldete sich zwischendurch mit Anmerkungen zum Ablauf. Heike Braun vom Kompetenzzentrum für digitales Lernen und Business (www.tb-ziel.de) führte als Moderatorin durch die zwei Tage.
Nur Hebammen bilden Hebammen aus
Am ersten Tag hielt Yvonne Bovermann, Beirätin für den Bildungsbereich beim DHV, einen sehr informativen Vortrag. Sie sprach über die Rolle der Kreißsäle nach dem neuen Hebammengesetz, das nun nach 30 Jahre komplett überarbeitet worden war. Bovermann war maßgeblich daran beteiligt. Sie erinnerte zurückblickend daran, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn eigentlich gegen das Studium gewesen war, bis er schließlich 2018 das duale Studium mit zwei Lernorten beschloss. Es gebe nun jeweils eine Kooperationsvereinbarung zwischen der Hochschule, die die Letztverantwortung für das Gelingen des Studiums habe, und der Klinik, die am Anfang die BewerberInnen auswählt.
Bovermann plädierte für Standards, damit werdenden Hebammen eine gute Ausbildung in der Klinik gewährleistet werden könne. So sollten beispielsweise Kliniken mit hohen Sectioraten zumindest ihre Bemühung zeigen, diese Zahlen zu senken, um sowohl den Frauen gerecht zu werden wie auch den Hebammenstudierenden.
Für eine Hochschule sei es besser, viele StudentInnen zu nehmen, da sich sonst der Aufwand nicht lohne, und sie sollte nicht mit zu vielen Partnerkliniken kooperieren.
Auf jeden Fall benötige man für die 480 Stunden außerklinischer Geburtshilfe auch freiberufliche Hebammen oder Geburtshäuser. Diese Partner suche die Klinik eigenständig aus. Die Aufgaben der Beleghebammen in der Anleitung der Schülerinnen seien vertraglich genau festzulegen, es dürfe in dieser Beziehung nicht zu einer Scheinselbstständigkeit kommen.
Bovermann erklärte unmissverständlich: »Nur Hebammen bilden Hebammen aus.« Auch im Wochenbett müssten also Hebammen die Praxisanleiterinnen sein. Eine Teilnehmerin hielt fest, dass manche Hebammen nicht wüssten, dass man für die Praxisanleitung finanzielle Mittel beantragen könne. Und erklärte, dass dies durch das hausinterne Controlling beantragt werde, es müsse aber aufgepasst werden, dass das Geld hinterher nicht in andere Kanäle der Klinik fließe. Bovermann wies nochmals darauf hin: »Alle Mehrkosten werden von den Krankenkassen erstattet. Die Höhe wird in den jährlichen Budgetverhandlungen zwischen Klinik und Kasse verhandelt.«
Lernen durch Zuschauen im Hebammenkreißsaal
Die Leitende Hebamme vom Hebammenkreißsaal aus Stuttgart, Elfriede Lochstampfer, sprach am zweiten Tag über die Einsätze von werdenden Hebammen (WeHen) in ihrem Kreißsaal und ob sie davon profitieren würden. Mit viel Überzeugungskraft machte sie deutlich: Ihr Wunsch sei es, Auszubildende zu dem Verständnis zu inspirieren, dass eine Geburt ein physiologischer Prozess sei, und dafür setzt sie einiges in Gang. Sie beklagte zunächst: Seit 30 Jahre nehme die Interventionsrate in der Geburtshilfe weltweit zu, so dass die WeHen immer weniger Physiologie erleben würden. Der Stuttgarter Hebammenkreißsaal war 2007 als vierter von 21 Hebammenkreißsälen implementiert worden. Hier arbeiten nur Hebammen, die mindestens zwei Jahre Berufserfahrung mitbringen. Die Gebärenden, die sich in der Schwangerschaft bei einem einmaligen Vorbereitungsgespräch vorgestellt haben, werden möglichst eins-zu-eins von einer Hebamme betreut. Nur bei einer Pathologie wird ein Arzt oder eine Ärztin hinzugezogen, auch das Legen der Naht wird von den Hebammen übernommen. Das Besondere für Auszubildende in diesem Kreißsaal sei: Sie erlebten die Geburtshilfe nur als Zuschauerin. Welchen Gewinn sie daraus ziehen, untersuchte Lochstampfer durch eine 45-minütige Befragung von Schülerinnen im dritten Ausbildungsjahr. Erlebt hatten diese jeweils eine bis drei Geburten in dem Kreißsaal.
In den Antworten kam heraus, dass sie das Gefühl hätten, sehr von dieser Situation zu profitieren, indem sie sich sehr viel abschauen konnten und erleben durften, welche hohen Kompetenzen Hebammen haben. Adjektive, die in der Befragung sehr häufig genannt wurden, seien: schön, ungestört, individuell, ruhig, sicher, berührend und bezaubernd. Die Auszubildenden fanden auch Ausdrücke wie »Balsam für die Seele«, »Ehrfurcht vor dem Geschehen« und »pure Zufriedenheit«, »heilend, so eine Geburtsbetreuung zu sehen«. Sie hatten laut der Befragung das Gefühl, dass die erlebte Geburtshilfe mit den theoretischen Inhalten des Unterrichts kongruent war, die Hebammen wurden als Hüterinnen der Physiologie erlebt.
Lochstampfer empfahl, dass es für alle WeHen verpflichtend einen Besuch in einem Hebammenkreißsaal geben sollte. Einige Zuhörerinnen machten den Vorschlag, dass demnächst die WeHen doch ruhig auch mitarbeiten sollten, was sich Lochstampfer im Grunde auch vorstellen könnte. Eventuell wird es diesbezüglich noch ein neues Modell geben, aber unbestritten war, dass auch durch Beobachtung viel zu lernen ist.
Im Ausbildungskreißsaal weiterarbeiten
Die Hebamme Caroline Agricola stellte ein Personalbindungskonzept vor, mit dem Studierende nach ihrer Ausbildung motiviert werden könnten, an ihrem Ausbildungskrankenhaus eine Stelle zu übernehmen. Im Moment hätten nur 31 % am Ende der Ausbildung daran Interesse. Sie gab Anregungen, die Wertschätzung im Team an Ausbildungsstätten zu verbessern, mehr Personalservice anzubieten, etwa Nahverkehrtickets zu bezuschussen und eine Kinderbetreuung anzubieten. Auch eine unbefristete Anstellung würde attraktive Sicherheit anbieten. Interessant war in diesem Zusammenhang ein Hinweis von Yvonne Bovermann: Die Auszubildenden könnten nicht verpflichtet werden, an ihrer Ausbildungsstätte zu bleiben.
Inspirierende Workshops
Es gab fünf inspirierende Workshops, die sich über beide Tage erstreckten: beispielsweise zur Personalbemessung, zur Didaktik und Methodik in der Praxisanleitung und zur Ausbildung in Corona-Zeiten. Die beiden jungen Hebammen Liesbeth Scherzer und Karla Laitko betonten in ihrem Workshop zu »Bedürfnissen von Studierenden und Hebammen«, wie wichtig es sei, dass sich beide Gruppen gegenseitig über ihre Wünsche und Ansprüche empathisch und wertschätzend austauschten, damit sich im Team Seelenfrieden einstellen könne. Ausbildung sei eine Mammutaufgabe und Kommunikation enorm wichtig.
In kleinen Gruppen konnten sich die Teilnehmerinnen über ihre Erwartungen klar werden und praktische Verbesserungsvorschläge für die Zukunft erarbeiten. Dazu gehörten Wünsche einiger Hebammen, dass die Studierenden auch ein hauswirtschaftliches Denken zeigen könnten, indem sie mal einen Mülleimer leerten. Gewünscht wurde, dass sich neue Studentinnen im Kreißsaal selbst vorstellen sollten und auch gern Ideen von den Hochschulen mitbringen sollten. Auch Pünktlichkeit wurde erwähnt. Eine Hebamme schlug eine Kennzeichnung im Dienstplan vor, damit die Studentin gleich wisse, wem sie zugeordnet sei.
Scherzer und Laitko sind derzeit in einer neuen Arbeitsgemeinschaft beim DHV aktiv, in der Studierende ihre Zukunft und ihr Studium mitgestalten sollen.
Dr. Silke Mensching, Pädagogin und Psychotherapeutin in Göttingen, erläuterte, wie man Schülerinnen und Studierende in Krisenzeiten wie der Corona-Pandemie anleiten und begleiten könne.
In einem Workshop mit Claudia Rheinbay, Leitende Hebamme, Instruktorin für Construction Risk Management (CRM) und Simulationstrainerin in Berlin, ging es um die Implementierung von Simulationstraining im Kreißsaal und dessen Möglichkeiten in der praktischen Ausbildung. Sie hielt einen spannenden Vortrag über das Potenzial der individuell abgestimmten Simulationseinheiten zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Kreißsaalteam. Zunächst erläuterte sie, dass es drei unterschiedliche Simulationsausstattungen gebe: Einfache Phantome (Low-Fidelity), programmierbare Roboter-Puppen (High-Fidelity) und kostengünstige Hybrid-Simulationen, bei denen beispielsweise ein umhängbarer Bauch mit einem Reservoir Blutungen nachvollziehbar machen kann. Sie schilderte interessante Fallbeispiele aus ihren Trainingseinheiten.
Deutlich wurde auch der Nutzen der Filme vom Training, die sich die Teilnehmenden anschließend anschauten. So fiel es einer Ärztin, die sich über die zu langsame Zuarbeit der Hebamme geärgert hatte, wie Schuppen von den Augen, als sie sah, wie sie selbst hätte mit anpacken müssen, damit alles schneller gegangen wäre. Das passende Gebot der Stunde wäre gewesen: Alle verfügbaren Ressourcen mobilisieren, auch die eigenen. Die Teilnehmerinnen bedankten sich überschwänglich für die Ausführungen von Claudia Rheinbay.
Lehr- und Lernziele
Die Praxisanleiterinnen Renate Nielsen und Elsbe Peters aus Hamburg sprachen in ihrem Workshop über Lehr- und Lernziele sowie über die Eins-zu-eins-Praxisanleitung und Lernentwicklungsbegleitung. Sich selbst sahen sie als Lotsinnen für die Feinjustierung – ein passendes Bild, zumal sie in einer Hafenstadt arbeiten. Zugleich machten sie deutlich, dass sie Lernoasen mit geschlossenen Türen schaffen möchten, wo die Ergebnisse vertraulich behandelt würden.
Zunächst gaben sie einen kurzen Überblick über die fast 100 Jahre Hebammenausbildung in der Frauenklinik Finkenau, die 1914 gegründet wurde, und den Übergang in ein Hochschulstudium nach kleinen Zwischenetappen. Früher habe es keinen Austausch zwischen Kreißsaal und Schule gegeben. Das habe sich sehr geändert – eben auch durch das Modell der Praxisanleitung. Der Fachbegriff dafür ist Kognitive Lehre im Meister-Lehrlings-Verhältnis (Cognitive Apprenticeship).
Inzwischen arbeiten Nielsen und Peters seit rund sieben Jahren in diesem Modell. Es gebe immer noch Punkte, die sie für verbesserungswürdig erachteten. Herausfordernd sei es für sie, dass sie zu keinem speziellen Team in einem Kreißsaal gehörten. Sie müssten sich immer wieder neuen Gegebenheiten stellen, es gebe wenig Zeit, sich Handlungsroutinen zu erarbeiten. Während des Vortrages konnte man sich jedenfalls bestens vorstellen, mit wie viel Wärme und Aufmerksamkeit jede einzelne Studentin von ihnen bedacht wird.
Peters gab im Workshop einen Überblick über vier Lerntheorien, die sich zu verschiedenen Zeiten etabliert hätten und die in unterschiedlichen Ausprägungen noch heute genutzt würden, um Lernziele zu erreichen: Der Behaviorismus, der sich in den 1950er Jahren aus der Verhaltensforschung entwickelt hatte, sei ein Modell des klassischen Lernens. Man nutze dabei das Gehirn als Speicher, dabei sei Auswendiglernen nötig, der Frontalunterricht sei die klassische Lehrmethode dafür, in der Lernziele abgefragt werden.
Im Kognitivismus verknüpfe man neues Wissen mit vorhandenem Wissen, was im Gehirn eine Modulation ermögliche, Fallaufgaben könnten dann unterschiedlich gelöst werden.
Beim Konstruktivismus gehe es um selbstgesteuertes Lernen, was sehr wirksam sei. Etwa in einem Simulationstraining würden komplexe Probleme vorgegeben und mit einem hohen Realitätsbezug komme man zu einem individuellen Ergebnis.
Dann gebe es noch den Konnektivismus: Lernen im Netzwerk. In einem Workshop, wie der vom DHV in diesem Rahmen geschaffene, gäben die Lehrenden nur den Rahmen vor. Die Antworten seien sehr vielfältig und sie könnten morgen schon anders lauten. Peters: »So hat uns die Corona-Pandemie sehr deutlich gezeigt, dass man sich immer wieder neu anpassen und lernen muss.« Das war auch in diesem neuen Rahmenkonzept für eine hoch spannende Tagung spürbar – und das Konzept ging auf!