Ein Säugling, der mit muskulär bedingtem Schiefhals geboren wurde. Dadurch sind der Kiefer und auch die Zunge schief. Stillschwierigkeiten sind unvermeidbar. Foto: © Catherine Watson Genna

Ein interdisziplinäres Forschungsteam stellt eine Studie zur Zungenbewegung vor: Die quantitative Bildgebung der Zungenkinematik von Säuglingen beim Füttern und von Erwachsenen beim Schlucken zeigt aufschlussreiche Muster.

Die Anatomie des Mundes und die komplexen Funktionen der Zunge spielen eine wesentliche Rolle bei der menschlichen Ernährung, insbesondere bei Säuglingen, deren Nahrung aus Milch besteht. Die Zunge ist eine Kombination aus ineinandergreifenden intrinsischen und extrinsischen Skelettmuskeln mit einem einzigen Ankerpunkt an ihrer Basis, der komplexe 3D-Bewegungen ausführen kann.

Während die Diagnose oraler Strukturpathologien anhand statischer Bildgebung relativ einfach ist, stellt die Bewertung abnormaler Zungenbewegungen immer noch eine technische Herausforderung dar. Dementsprechend gab es eine Kontroverse über die Bewegungseigenschaften der Zunge während des Stillens, und die meisten Studien zeigten nur ein begrenztes Muster der Gesamtleistung.

Das war die Ausgangslage zur Studie »Quantitative imaging of tongue kinematics during infant feeding and adult swallowing reveals highly conserved patterns« (Genna et al., 2021).

Methode

Unser interdisziplinäres Forschungsteam entwickelte eine objektive Methode zur Verfolgung der momentanen Zungenoberfläche durch Ultraschallvideoclips von unterhalb der Zunge (submental, das heißt: mittig-sagittal), die während mehrerer Saugzyklen beim Stillen oder eines einzelnen Schluckens eines Erwachsenen aufgenommen wurden (Elad et al., 2014; Genna et al., 2021). Durch die Verfolgung der Konturen des harten Gaumens und der Zungenoberfläche in aufeinanderfolgenden Ultraschallbildern und das Einfrieren der Bewegung des harten Gaumens konnten wir die Eigenschaften der Zungenbewegung relativ zum starren harten Gaumen objektiv messen (siehe Abbildungen unten).

Diese Technik wurde verwendet, um die Zungenbewegungen während des Fütterns bei gesunden Säuglingen und bei Säuglingen mit verschiedenen anatomischen oder medizinischen Problemen zu untersuchen, die sich auf die Stillfähigkeit auswirken, zum Beispiel verkürztes Zungenbändchen oder angeborener muskulärer Schiefhals, und bei einem Baby mit neurologisch bedingter Schluckstörung. Wir konnten auch Unterschiede in der Organisation der Zungenbewegungen zwischen Stillen und Flaschenernährung feststellen.

Zungenbewegung

Die Zunge ist in der Regel in zwei Bereiche unterteilt: den Zungenkörper, der einen vorderen Bereich unter dem harten Gaumen und einen hinteren Bereich unter dem weichen Gaumen hat, und den Zungengrund. Der Zungengrund bewegt sich nach hinten, um beim Saugen die Abdichtung zum weichen Gaumen und beim Schlucken den Verschluss der Atemwege zu unterstützen (Brooks et al., 2020).

Die Analyse des Stillens bei gesunden Säuglingen hat gezeigt, dass die Brust im Mund des Säuglings zwischen der Oberlippe und der vorderen Hälfte der gerillten Zunge gehalten wird (Elad et al., 2014). Dieser vordere Teil der Zunge bewegt sich zusammen mit dem Unterkiefer als Einheit auf und ab, um die Brust im Mund zu stabilisieren und den intraoralen Raum zu vergrößern. Der hintere Teil der Zunge setzt die Bewegung des vorderen Teils fort, bewegt sich aber beim Saugen wellenförmig nach unten und beim Schlucken nach oben. Die Bewegungen der Zunge in Bezug auf den harten Gaumen sind in einem wiederholbaren Rhythmus organisiert und bewegen sich gleichmäßig in einem peristaltischen Muster entlang des hinteren Segments.

Es gibt eine kurze Pause, in der die Milch aus der Brustwarze in einen schalenförmigen Bereich (Pool) am untersten Punkt des hinteren Zungenkörpers gesaugt wird. Sobald die Milch die Vallecula epiglottica – eine paarige Grube zwischen Zungenwurzel und Kehldeckel – erreicht, wird ein Schluckvorgang ausgelöst. Die vordere Zunge bewegt sich mit dem Kiefer nach oben, dann setzt sich die Welle der Aufwärtsbewegung entlang der Zunge peristaltisch fort, um die Milch in den Rachen zu drücken.

David Elads Modell für eine Computersimulation des Stillens: B zeigt die maximale Mund-Öffnung des Säuglings. Die Brustwarze (Teat) war beim Anlegen etwa 20 mm, beim Stillen bis zu 30 mm lang. Ermittelt wurde ein Unterdruck von bis zu -40 mmHG – bei einer Anzahl von fünf Ducti in der Mamille, was einer realistischen Brust entsprechen sollte. Getestet wurden unterschiedlich viele Milchgänge. Abbildung: © by permission from Elad et al., 2014; doi:10.1073/pnas.1319798111

Ankyloglossie und Schiefhals

Die Analyse eines zungengebundenen Säuglings zeigte, dass eine signifikante Ankyloglossie nicht nur den Bewegungsumfang der Zunge einschränkt, was die Saugkraft reduziert (Franca et al., 2020). Sie eliminiert auch die organisierte peristaltische Bewegung der Zunge in Bezug auf den harten Gaumen, die für das Schlucken notwendig ist (Genna et al., 2021; Schlatter et al., 2019). Die Analyse desselben Säuglings nach der Lingualfrenotomie zeigte deutlich die Wiederherstellung der normalen Zungenmotilität, wodurch der Säugling sowohl effizienter saugen als auch sicherer schlucken konnte.

Ein kongenitaler muskulärer Schiefhals wurde als Ursache für Stillschwierigkeiten erkannt, die durch schwaches Saugen und Schwierigkeiten beim Anlegen an die Brust verursacht werden (Genna, 2015). Die Analyse des Stillens bei Säuglingen mit dieser Kondition ergab eine schlechtere Organisation des Saugens. Die betroffenen Säuglinge hatten immer noch eine peristaltische, wellenförmige Bewegung ihrer hinteren Zunge, aber das Timing und der Rhythmus waren unzureichend, während der Bewegungsumfang dem bei gesunden Säuglingen ähnelte. Die Analyse der Zungenbewegungen desselben Säuglings während der Flaschenfütterung ergab ähnliche Motilitätsmuster wie beim Stillen, aber viel weniger organisiert. Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass die künstliche Brustwarze viel steifer ist als die menschliche.

Stilltipps
  • Bei Säuglingen mit eingeschränkter Zungenbeweglichkeit kann es hilfreich sein, die Brust so zu formen, dass sie leichter zu greifen ist, und die Schwerkraft zu nutzen, um das Anlegen zu erleichtern.
  • Säuglinge mit einer Kiefer- und Zungenasymmetrie aufgrund eines angeborenen muskulären Schiefhalses profitieren von einer Position, bei der die Kopfneigung während des Stillens erhalten bleibt, und von einer sublingualen Unterstützung (gleichmäßiger Zug mit den Fingerspitzen in Richtung Brust unter dem Musculus mylohyoideus), um die Stützbasis der Zunge in der Mittellinie wiederherzustellen (Genna, 2015; Genna, 2023).

Lippenbändchen und Dysphagie

Auch die Wirksamkeit der Lippenbändchenentfernung wurde untersucht. Ein Säugling mit eingeschränkter Oberlippenbeweglichkeit hatte einen normalen Bewegungsumfang der Zunge, aber eine schlechte Organisation der Zungenbewegungen beim Stillen. Nach der Frenotomie verbesserte sich das Stillen und der Säugling war in der Lage, eine tiefere Bindung an die Brust aufrechtzuerhalten, wodurch die Zunge im Mund stabilisiert und eine normale Muskelaktivierung möglich wurde.

Eine weitere Stillschwierigkeit wurde bei einem Säugling mit neurologisch bedingter Schluckstörung (Dysphagie) aufgrund einer intrauterinen Asphyxie nach einer Plazentaablösung untersucht. Die Zungenbewegungen waren ziemlich rhythmisch, aber es fehlte die organisierte peristaltische Motilität, die ein sicheres Schlucken ermöglicht, selbst wenn der Säugling in einer aufrechten Position gestillt wurde, um die Schlucksicherheit zu verbessern (Mills, 2021).

Analyse der Zungenmotilität: (a) Verfolgung von Gaumen (rot) und Zunge (grün) auf einem Bild; (b) Konturen von Gaumen und Zunge aus allen Video­bildern vor der digitalen Bearbei­tung; (c) Konturen von Gaumen und Zunge aus allen Video­bildern nach der digitalen Bearbeitung. Abbildung: © by permission from Genna et al., 2021. https://physoc.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.14814/phy2.1468

Unterschied zum Erwachsenen

Schließlich wurde die Kinematik der Zunge beim Schlucken eines einzelnen 5-ml-Bolus bei Erwachsenen untersucht. Der vordere Zungenteil bewegte sich wellenförmig, um den Bolus auf den hinteren Teil zu befördern, dann hob sich der hintere Zungenteil auf ähnliche peristaltische Weise, um den Bolus in den Rachen zu schieben.

Wir kamen zu dem Schluss, dass das Muster der Zungenbewegung des Säuglings beim Schlucken an der Brust weitgehend mit dem eines Erwachsenen identisch ist, mit einer Ausnahme: Der Säugling muss die vordere Zunge als Teil des Mechanismus verwenden, der die Brust festhält. Arzu Alan und Kolleg:innen wiesen nach, dass der geringere Bewegungsumfang der vorderen Zunge bei zungengebundenen Säuglingen im Vergleich zu Kontrollpersonen zu einem Verlust des Haltes beim Übergang vom Saugen zum Schlucken führt, was ein wiederholtes Abrutschen der Brustwarze in Richtung des vorderen Teils des Mundes zur Folge hat (Alan et al.,2023).

Interdisziplinäre Forschung

Die Stärke unseres Forschungsteams ist das vielfältige Fachwissen von biomedizinischen Ingenieur:innen, Mediziner:innen und Stillberater:innen, die zusammen­arbeiten, um eine objektivere Methode zur Untersuchung der Zungenbewegungen in Raum und Zeit während der Nahrungsaufnahme zu entwickeln. Die weitere Entwicklung dieser Forschungsmethode kann dazu beitragen, die richtige Behandlung für Saugprobleme bei Säuglingen auszuwählen und klinische Interventionsstrategien zur Verbesserung der Säuglingsernährung zu entwickeln.

Fazit für die Praxis

Die klinischen Auswirkungen unserer Arbeit können Hebammen dabei helfen zu unterscheiden zwischen Säuglingen mit Ankyloglossie, denen es an normaler Zungenhebung und -vorwölbung sowie an hinterer Zungenperistaltik beim Saugen mangelt, und Säuglingen mit Muskel-Skelett-Erkrankungen wie Torticollis, die eine schlechte Organisation der Zungenbewegung und eine asymmetrische Beweglichkeit von einer Seite zur anderen aufweisen. Letzteres bedeutet, dass sich eine Seite der Zunge höher anhebt und sich die Zunge während der Lateralisierung mehr zur einen als zur anderen Seite bewegt. Säuglinge mit ausgeprägtem Zungenbändchen können von einer Frenotomie und solche mit Torticollis von einer Physiotherapie profitieren. Bei Stillproblemen ist eine Beratung wichtig, um die Milchproduktion der Mutter und das Wachstum des Säuglings zu schützen.

Nachgefragt

Birgit Heimbach: Wären Ultraschalluntersuchungen in der Zukunft ein Mittel zur Diagnostik bei bestimmten Einschränkungen der Zungenfunktion von Säuglingen?

Catherine Watson Genna: Ultraschall wird nach wie vor nur experimentell zur Untersuchung der Zungen­bewegungen von Säuglingen eingesetzt. Unsere Methode erfordert stundenlange Arbeit mit fünf Matlab-Skripten (interaktive Dokumente), um das Saugen eines Säuglings zu analysieren. Was wir sehen, stimmt oft mit dem überein, was man spürt, wenn man einen Säugling an einem Finger saugen lässt. Daher denke ich, dass Saugunter­suchun­­­gen mit dem Finger für Hebammen am wertvollsten sind.


Hinweis: Birgit Heimbach hat die Studie übersetzt.

Weitere Abbildungen finden sich in der Studie von Genna et al., 2021: > https://doi.org/10.14814/phy2.14685


Zitiervorlage
Genna, W. C. & Elad, D. (2024). Kinematik der Zunge. Deutsche Hebammen Zeitschrift, 76 (7), 16–19.
Literatur
Alan, A., Orhan, A., & Orhan, K. (2023). Evaluation of the Breastfeeding Dynamics of Neonates with Ankyloglossia via a Novel Ultrasonographic Technique. Diagnostics, 13, 3435. https://doi.org/10.3390/diagnostics13223435

Brooks, L., Landry, A., Deshpande, A., Marchica, C., Cooley, A., & Raol, N. (2020). Posterior Tongue Tie, Base of Tongue Movement, and Pharyngeal Dysphagia: What is the Connection? Dysphagia, 35(1), 129–132. https://doi.org/10.1007/s00455-019-10040-x

Elad, D., Kozlovsky, P., Blum, O., Laine, A. F., Po, M. J., Botzer, E., Dollberg, S., Zelicovich, M., & Sira, L. B. (2014). Biomechanics of milk extraction during breast-feeding. Proceedings of the National Academy of Sciences, 111(14), 5230–5235. https://doi.org/10.1073/pnas.1319798111

França, E. C. L., Albuquerque, L. C. A., Martinelli, R. L. de C., Gonçalves, I. M. F., Souza, C. B., & Barbosa, M. A. (2020). Surface Electromyographic Analysis of the Suprahyoid Muscles in Infants Based on Lingual Frenulum Attachment during Breastfeeding. International Journal of Environmental Research and Public Health, 17(3), Article 3. https://doi.org/10.3390/ijerph17030859

Genna, C. W. (2023). Supporting Sucking Skills in Breastfeeding Infants, 4th edition, Jones and Bartlett.

Genna, C. W., Saperstein, Y., Siegel, S. A., Laine, A. F., & Elad, D. (2021). Quantitative imaging of tongue kinematics during infant feeding and adult swallowing reveals highly conserved patterns. Physiological Reports, 9(3), e14685. https://doi.org/10.14814/phy2.14685

Genna, C. W. (2015). Breastfeeding Infants with Congenital Torticollis. Journal of Human Lactation, 31(2), 216–220. https://doi.org/10.1177/0890334414568315

Mills, N., Keesing, M., Geddes, D., & Mirjalili, S. A. (2021). Flexible Endoscopic Evaluation of Swallowing in Breastfeeding Infants With Laryngomalacia: Observed Clinical and Endoscopic Changes With Alteration of Infant Positioning at the Breast. Annals of Otology, Rhinology & Laryngology, 130(7), 653–665. https://doi.org/10.1177/0003489420965636

Schlatter, S.-M., Schupp, W., Otten, J.-E., Harnisch, S., Kunze, M., Stavropoulou, D., & Hentschel, R. (2019). The role of tongue-tie in breastfeeding problems—A prospective observational study. Acta Paediatrica, 108(12), 2214–2221. https://doi.org/10.1111/apa.14924

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