Hebammen sollten die arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften kennen, um ihre Gesundheit langfristig zu erhalten – besonders bei Schichtdienst und Personalmangel in den Kliniken.
Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ist auch in der Planung von Arbeitszeit und Dienstplan zu beachten. Foto: © Michael Plümer
Hebammen sollten die arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften kennen, um ihre Gesundheit langfristig zu erhalten – besonders bei Schichtdienst und Personalmangel in den Kliniken.
Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit schützt vor Einwirkungen, die die menschliche Gesundheit im biologisch-physiologischen Sinn beeinträchtigen. Wendet man dieses Recht auf die Tätigkeit der Hebamme an, so kommt man nicht umhin, sich auf die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften zu besinnen.
Ein Grundsatz aus der Rettungsmedizin lautet: »Wenn wir selbst medizinische Hilfe brauchen, sind wir keine Hilfe für unsere PatientInnen.« Das ist vielen Hebammen eher suspekt. Denn sie verstehen sich als Fürsprecherinnen der schwangeren und gebärenden Frauen (Deutscher Hebammenverband 2017. Bei ihrer Arbeit müssen sie berücksichtigen, dass der Beginn des menschlichen Lebens nach Artikel 2 unseres Grundgesetzes (GG) bereits durch die Einnistung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutter stattfindet. Somit haben Hebammen das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit nicht nur bei der Behandlung der Schwangeren und deren Kind zu beachten, sondern auch bei sich selbst, um ihren Beruf möglichst gesund und lange ausüben zu können.
Insbesondere bei der Gestaltung des Arbeitsplatzes der Hebamme stellt sich zunehmend die Frage nach dem zu bewältigenden Höchstgewicht. Denn immer häufiger müssen sie schwangere Frauen unter hoher körperlicher Belastung bewegen. Zwar sind konkrete Höchstgewichte in der Lastenhandhabungsverordnung nicht vorgesehen. Um die Gefährdung abzuschätzen, können Hebammen jedoch auf die sogenannte Hettinger-Tabelle Bezug nehmen (Hettinger 1981).
Diese sieht für Frauen, die weniger als zweimal in der Stunde in drei bis vier Schritten schwer heben müssen, ein zulässiges Höchstgewicht von 15 kg vor. Bei häufigem Tragen und Heben sollen es nur 10 kg sein. Für Männer sind es je nach Alter 35 bis 55 kg und bei häufigem Heben und Tragen 20 bis 30 kg (Kompendium »Arbeitsschutzrecht« 2007). Werden diese Richtwerte überschritten, hat der Arbeitgeber im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung die übergewichtige Handhabung von Lasten zu unterbinden. So soll die Gesundheit der Hebammen geschützt werden, insbesondere die Lendenwirbel. Für eine methodische Beurteilung empfiehlt sich die sogenannte Leitmerkmalmethode entsprechend der Lastenhandhabungsverordnung. In der Leitmerkmalmethode werden auch andere Einflüsse betrachtet, wie Körperhaltung, Ausführungsbedingungen etwa bei einer Geburtsbegleitung kniend auf dem Boden, Lastbedingungen, Häufigkeit und Dauer im Gesamten (KomNet Wissenschaftsdatenbank 2018).
Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers soll die Grundrechte der MitarbeiterInnen schützen. So ist der Organisationsbereich der Entbindungspflege kein grundrechtsfreier Bereich (Sträßner 2007, Seite 160). Das im Artikel 2 GG vorgesehene Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und der damit einhergehende Gesundheitsschutz im Arbeitsleben sind demnach auch in der Planung von Arbeitszeit und Dienstplan zu beachten. Hierbei sind zahlreiche Rechtsnormen einzuhalten (siehe Abbildung 1).
Doch viel hilft nicht immer viel. So sind langfristige Planungen für die Erstellung eines Dienstplanes im Gesetz leider nicht vorgesehen. Lediglich § 12 Teilzeit- und Befristungsgesetz schreibt eine viertägige Ankündigungsfrist für Arbeit auf Abruf vor und wird so auch von der Rechtsprechung angewendet. Bei der Berechnung der Vier-Tages-Frist bleibt der Ankündigungstag außen vor.
§ 12 Teilzeit- und Befristungsgesetz verlangt die Mitteilung im Voraus. Nach § 186 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) darf die Ankündigung nicht an einem Samstag oder Sonntag geschehen. Das Arbeitsgericht Frankfurt befand wohl daher, dass ein Vorlauf von mindestens einer Woche gewährt werden müsse (Az.: 7 Ca 5014/99).
Die Mitbestimmung des Betriebsrats oder der Mitarbeitervertretung ist zu beachten. Von Betriebs- und Personalräten veranlasste Betriebsvereinbarungen sehen zum Teil sehr viel längere Fristen für die Dienstplangestaltung vor, nämlich vier bis sechs Wochen oder auch ein ganzes Jahr.
Grundsätzlich verstoßen Anweisungen über zu lange Arbeitszeiten oder unzureichende Ruhezeiten und Ruhepausen gegen das Arbeitszeitgesetz. Somit sind sie gemäß § 134 BGB nichtig (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 28.10.1971, Az.: 2 AZR 15/71).
Auch der arbeitgeberseitige Wunsch, MitarbeiterInnen aus dem Erholungsurlaub zu holen, ist unwirksam (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.6.2000 – 9 AZR 405/99-). Allerdings ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts der bloße Freizeitausgleich aus dem Arbeitszeitkonto mangels anderweitiger Vereinbarung widerruflich, wenn zuvor die Zustimmung der Interessensvertretung eingeholt wurde und die entsprechenden Ankündigungsfristen beachtet werden. Ohne Ankündigung darf aber keine Hebammen aus dem Freizeitausgleich geholt werden. Denn das Direktionsrecht des Arbeitgebers reicht nicht in die Freizeit der ArbeitnehmerInnen.
Ruhepausen dienen der Erholung. Sie sollen die ArbeitnehmerInnen vor körperlicher und geistiger Überforderung und damit einhergehenden Gesundheits- und Unfallrisiken schützen.
Was Arbeitszeit ist, kann keine Pause sein. So versteht das Bundesarbeitsgericht unter Ruhepausen im Voraus festgelegte Unterbrechungen der Arbeitszeit, in denen die ArbeitnehmerInnen weder Arbeit zu leisten noch sich dafür bereit zu halten haben, sondern frei darüber entscheiden können, wo und wie sie diese Zeit verbringen möchten (BAG – Az.: 1 AZR 603/01).
Die ArbeitnehmerInnen sollen sich bereits im Vorfeld auf die Pause einstellen und sie zur Erholung nutzen können (BAG 25.2.2015, Az.: 5 AZR 886/12).
Eine Arbeitsunterbrechung, bei deren Beginn die Beschäftigten nicht wissen, wie lange sie dauern wird, ist keine Pause. Länger als sechs Stunden hintereinander dürfen ArbeitnehmerInnen nicht ohne Ruhepause beschäftigt werden.
Bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs bis zu neun Stunden dauern diese Pausen mindestens 30 Minuten, bei mehr als neun Stunden sind es 45 Minuten. Unterbrechungen von weniger als 15 Minuten sind in der Regel keine Ruhepausen, sondern Arbeitsunterbrechungen, zum Beispiel beim Toilettengang. Arbeitsunterbrechungen, die unter 15 Minuten liegen, gelten nicht als unbezahlte Pause, sondern sind vergütungspflichtige Arbeitszeit. Ruhepausen können nicht an den Anfang oder das Ende der Arbeitszeit gelegt werden.
Unter Ruhezeit versteht man den Zeitraum, der zwischen dem Ende der täglichen Arbeitszeit und dem Beginn der nächsten täglichen Arbeitszeit desselben Arbeitgebers liegt, beziehungsweise zwischen zwei Arbeitsschichten.
§ 5 ArbZG (Arbeitsschutzgesetz) geht von elf Stunden aus, die nicht unterbrochen werden dürfen. Die Ruhezeit dient der Erholung. In Krankenhäusern oder Pflegeheimen kann die Ruhezeit auf zehn Stunden verkürzt werden. Diese Verkürzung muss innerhalb eines Kalendermonats oder binnen vier Wochen durch Verlängerung einer anderen Ruhezeit auf mindestens zwölf Stunden ausgeglichen werden. Wird die Ruhezeit um weniger als eine Stunde verkürzt, muss trotzdem eine mindestens zwölfstündige verlängerte Ruhezeit gewährt werden. Mehrere kleinere Verkürzungen können zusammengerechnet werden. Bei Rufbereitschaft ist mindestens fünf Stunden Ruhezeit einzuhalten (§ 5 Abs. 3 ArbZG).
Eine gesetzliche Definition zur Rufbereitschaft gibt es nicht. Der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVÖD) und die Arbeitsvertragsrichtlinien der Kirchen (AVR) definieren sie so: Rufbereitschaft (Hintergrunddienst) leisten Beschäftigte, die sich auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einem von den ArbeitnehmerInnen selbst gewählten Ort aufhalten, der gegebenenfalls dem Arbeitgeber zu benennen ist, um auf Abruf die Arbeit aufzunehmen. Rufbereitschaft wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass Beschäftigte vom Arbeitgeber mit einem Mobiltelefon oder einem vergleichbaren technischen Hilfsmittel ausgestattet sind. Es muss im Bedarfsfall der Arbeitseinsatz gewährleistet sein.
Als Arbeitszeit während der Rufbereitschaft gelten die Zeiten der tatsächlichen Arbeitsleistung und die Wegezeit.
Rufbereitschaft darf nur angeordnet werden, wenn erfahrungsgemäß allein in Ausnahmefällen Arbeit anfällt. Die weit überwiegende Zahl der Rufbereitschaften soll ohne Arbeit bleiben (BAG – Az.: 6 AZR 48/86).
Die Rufbereitschaft kann in Krankenhäusern und ähnlichen Einrichtungen mit der Ruhezeit zusammengelegt werden, wenn die Inanspruchnahme während der Rufbereitschaft nicht mehr als 5,5 Stunden beträgt. Diese Zeit kann zu anderen Zeiten ausgeglichen werden.
Dauert der Arbeitseinsatz länger als 5,5 Stunden, schließt sich eine neue Ruhezeit von elf Stunden an.
Ist im Tarifvertrag oder AVR von kurzfristiger oder alsbaldiger Arbeitsaufnahme die Rede, dürfen Arbeitgeber oder Arbeitgeberin die Zeitspanne vom Aufenthalts- bis zum Einsatzort nicht verbindlich festlegen. Arbeitgeberseitig vorgegebene Höchstentfernungen von etwa zwölf Kilometern oder von längstens 10 bis 20 Minuten legt die Rechtsprechung als Anordnung zum Bereitschaftsdienst aus, die dann grundsätzlich als Arbeitszeit mit entsprechender Bezahlung gewertet wird (BAG 19.12.1991-6 AZR 592/89).
Die Weisung, das Handy nicht abzuschalten, ist Rufbereitschaft (BAG – Az.: 6 AZR 900/98).
Bereitschaftsdienst ist gegeben, wenn die Hebamme sich auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufhalten muss, um bei Bedarf die Arbeit aufzunehmen. Die geistige und psychische Leistungsfähigkeit der Hebamme darf während des Bereitschaftsdienstes nicht beeinträchtigt sein.
Nach TVÖD/AVR werden Bereitschaftszeiten etwa zur Hälfte als tarifliche Arbeitszeit gewertet. Bei der Bereitschaftszeit (auch innerhalb der tariflichen Arbeitszeit) nach TVÖD muss es sich um eine dauerhafte Arbeitsorganisation handeln, in der Zeiten ohne Arbeitsleistung überwiegen (51 %). Es bedarf einer Dienstverordnung oder einer Betriebsvereinbarung und »diese Regelung gilt nicht für Wechselschicht oder Schichtarbeit (Protokollerklärung zu § 9 TVÖD).
§ 7 Abs. 2a ArbZG sieht eine werktägliche Verlängerung der Arbeitszeit auch über acht Stunden ohne Ausgleich durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung vor, wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft (30 %) und Bereitschaftsdienst (20 %) fällt und sichergestellt wird, dass die Gesundheit der ArbeitnehmerInnen nicht gefährdet wird (Erfurter Kommentar 2019; Wank § 7 ArbZG Rn. 6). Das könnte etwa durch Regelungen mit verlängerten Ruhezeiten passieren, durch spezielle arbeitsmedizinische Untersuchungen oder Festlegung von Höchstarbeitszeiten. Dafür ist aber eine Einwilligung der betroffenen ArbeitnehmerInnen erforderlich. Die Zustimmung muss von ihnen selbst schriftlich erklärt werden und vor Beginn der verlängerten Arbeitszeit vorliegen. Die Einwilligung kann jederzeit mit einer Frist von sechs Monaten schriftlich widerrufen werden.
Das gesetzlich vorgeschriebene Benachteiligungsverbot in § 7 Abs.7 ArbZG bei Nichtzustimmung beziehungsweise Widerruf durch die Hebamme ist unbedingt zu beachten: ArbeitgeberInnen dürfen eine Hebamme nicht benachteiligen, weil sie der Verlängerung der Arbeitszeit nicht zugestimmt hat (Erfurter Kommentar 2019/Wank § 7 ArbzG Rn. 27). Das heißt, sie dürfen ihr nicht kündigen, sie schlechter stellen oder ihr Vorteile verweigern.
Der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVÖD) sieht außerdem einen Zusatzurlaub für Wechselschicht und Schichtarbeit von maximal sechs Arbeitstagen, begrenzt auf 35 Gesamturlaubstage, und für mindestens 50-Jährige auf 36 Gesamturlaubstage pro Kalenderjahr vor. Unberücksichtigt bleibt hierbei ein eventueller Schwerbehindertenurlaub. Dieser Zusatzurlaub für Schichtarbeit muss von den ArbeitnehmerInnen ausdrücklich verlangt werden. Es besteht keine Pflicht des Arbeitgebers zur initiativen Zusatzurlaubsgewährung. Die Hebamme muss also selbst darauf achten. Für Hebammen ist es wichtig, dass diese arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften eingehalten werden, um ihre Gesundheit zu erhalten.
Umgang mit sexueller Gewalt im Krankenhaus am Beispiel der Charité: https://frauenbeauftragte.charite.de/projekte/watch_protect_prevent/
Müller-Glöge R, Preis U, Schmidt I (Hrsg.): Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht. 19. Auflage. Erschienen 26.10.2018. C.H.Beck 2019
Sträßner H: Das Recht der Hebamme. 1. Auflage. Kohlhammer 2007
Taeger J, Rose E: Kompendium »Arbeitsschutzrecht«. Verlag Hüthig Jehle Rehm GmbH 2007