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Wo die Grenzen der Eins-zu-eins-Betreuung in der freiberuflichen Arbeit liegen, hat eine Hebamme auf dem eigenen Berufsweg erlebt. Sie berichtet von den Vor- und Nachteilen verschiedener Konzepte: Familienzentriertes Arbeiten, wirtschaftlicher Erfolg und Work-Life-Balance gehen dabei nur selten Hand in Hand.

Als ich 2005 mein erstes Praktikum bei einer freiberuflichen Hebamme absolvierte, lernte ich für sechs Monate die für mich so verlockende und wunderschöne Welt der selbstständigen Hebammenarbeit kennen. Diese Hebamme begleitete Familien eins zu eins von Beginn der Schwangerschaft über die (Beleg-)Geburt bis ins Leben mit ihrem Kind beziehungsweise zum Ende der Stillzeit.

Das selbstständige Arbeiten entsprach meinem Wunsch nach Autonomie im beruflichen sowie privaten Bereich. Eine Familie in ihrer Entstehung über einen langen Zeitraum begleiten zu können, die ganzheitliche Betrachtung dieses Lebensabschnittes in enger Absprache mit den Bedürfnissen der betreuten Familie: Genauso wünschte ich mir meine spätere Arbeit als Hebamme. Aus meiner Zeit als Krankenschwester in meinem vorherigen Berufsleben kannte ich die Arbeit in einer Klinik und das damit verbundene Karussell aus Zeitdruck und Schichtdienst.

Fünf Jahre später begann meine Ausbildung in einem Kreißsaal. Es gab viel Druck seitens der examinierten Hebammen, ein strenges hierarchisches System, in dem ich als Auszubildende ganz am Ende der »Nahrungskette« angesiedelt war. Ich erlebte Gebärende, die mehrheitlich in Rückenlage mit den Händen in den Kniekehlen zum Pressen angefeuert wurden. Hier kannte ich kaum die Vornamen der Menschen, die ich im Dienst kennenlernte, hatte nur kurz in den Mutterpass geschaut und sollte die Frau doch in diesen lebensverändernden Stunden begleiten. Wir lernenden Hebammen wechselten zwischen den Kreißsälen, keine Spur von individueller und enger Begleitung. So hatte ich mir meine berufliche Zukunft nicht vorgestellt.

Die große Hebammenpraxis

Dann kam mein Externat und da war sie wieder: die schöne weite Welt der Eins-zu-eins-Betreuung! Ich absolvierte das Externat in einer großen Praxis mit acht Hebammen. Hier wurden die Familien gemeinschaftlich durch die Schwangerschaft begleitet, nach einem Dienstplan bei den Geburten (meist Beleggeburten) unterstützt und im Wochenbett von einer vorher festgelegten Kollegin individuell betreut. Ich tauchte wieder ein in die Privatheit der ambulanten Begleitungen mit ihren vertrauensvollen Gesprächen und Berührungen und der daraus resultierenden wachsenden Beziehungen zwischen der Hebamme und der Schwangeren. Ich konnte dabei zusehen, wie sich die Familien an die Hebammen annäherten, Vertrauen fassten und auch durch körperliche Untersuchungen eine Beziehung entstand.

Die Geburtsbegleitungen profitieren natürlich sehr von dieser vertrauensvollen Beziehung und der gemeinschaftlichen Vorbereitungen auf die Geburt des Kindes.

Im Wochenbett wahrzunehmen, wie eine Familie lebt, wie sie wohnt, ihren Lebensraum gestaltet – all das sagt auch viel über die Menschen aus. Ich konnte sie besser verstehen, ihre Lebensumstände begreifen und Prioritäten in ihrem Alltag erkennen. Wir lernten die Menschen eben richtig kennen.

Glücklicherweise erklärte sich knapp ein Jahr später dieses Team bereit, mich in ihren Reihen aufzunehmen. Zu Beginn meiner Karriere als achte Hebamme in einer außerordentlich gut laufenden Praxis in einer Großstadt arbeiten zu dürfen, fühlte sich an wie der Jackpot.

Zu dieser Zeit gab es Belegverträge mit drei Kliniken und auch Hausgeburtshilfe wurde angeboten.

Jede Hebamme betreute jede Familie: Das hieß, dass die Vorsorgen wechselnd bei verschiedenen Kolleginnen organisiert wurden und zur Geburt dann eine diensthabende Kollegin rufbereit war.

Ich konnte die Gebärende und ihre Familie also eins zu eins begleiten, merkte aber, dass ein wirklicher persönlicher Kontakt für mich so nicht entstand. Wirklich glücklich war ich eigentlich nur, wenn sich zufällig eine »meiner« (Nachsorge-)Familien in meiner Bereitschaft meldete und ich die Geburt begleiten durfte. Die restlichen Familien blieben mir relativ fremd und die Geburtsbegleitungen verliefen auf einer professionell-oberflächlichen Ebene.

Ich betreute in dieser Zeit etwa zwei bis drei Geburten im Monat als erste oder zweite Hebamme. Insgesamt wurden sieben bis zehn Frauen pro Monat zur Geburt angenommen. Wirtschaftlich war dieses System außerordentlich ertragreich. Dadurch, dass wir die Einnahmen in einen Pool gewirtschaftet und nach einem ausgeklügelten Punktesystem ausbezahlt haben, habe ich in dieser Zeit sehr gut verdient. Sogar Bereitschaften, in denen man nicht gerufen wurde, wurden vergütet. In dieser Hinsicht paradiesische Zustände.

Im Zweierteam

Durch private und berufliche Gegebenheiten änderten sich jedoch die Zuständigkeiten, manche Kolleginnen stiegen aus der Geburtshilfe aus, andere wollten und mussten weniger arbeiten. Das ganze fein abgestimmte Gefüge kam ins Wanken. So entschied ich mich nach dreieinhalb Jahren, es mit einer Kollegin aus diesem Team noch einmal anders zu versuchen. Wir wünschten uns finanzielle Unabhängigkeit voneinander. Jede sollte nur das verdienen, was sie auch selbst erwirtschaftet hatte. Gemeinschaftlich wollten wir uns Praxisräume teilen und uns bei den Geburten zur Seite stehen.

Die größte Anforderung war die Umsetzung der vollumfänglichen Eins-zu-eins-Begleitung in der Hausgeburtshilfe. Wir nannten unsere Arbeitsweise »Bezugshebammen-System«.

Jede Schwangere wurde einer Hebamme zugeordnet beziehungsweise ordnete sich selbst zu, indem sie mit einer von uns Kontakt aufnahm. Durch regelmäßige Beratungstermine und Vorsorgeuntersuchungen kam es im Laufe der Schwangerschaft zu einer sehr persönlichen Auseinandersetzung mit den Bedürfnissen, Wünschen und Sorgen der Schwangeren. Häufig wurden die Partner:innen und etwaige weitere Kinder der Familie Teil dieser Termine. Zwischen uns Hebammen und der betreuten Person wuchs ein enges Band.

Dies führte zu einer besonderen Identifikation mit unserer Rolle in diesem Lebensabschnitt der schwangeren Person beziehungsweise der Familie. Durch die Wahrnehmung der eigenen Bedeutung als Hüterin der Schwangerschaft, Beobachterin der schwangerschafts­assoziierten Veränderungen und Begleiterin des Geburtsprozesses wurde mir meine Arbeit nie zu viel. Selbst wenn das Telefon zu den ungünstigsten Zeiten klingelte oder man an einem Tag gerufen wurde, der doch jetzt wirklich einmal frei sein sollte, war das halt so. Keine Kollegin hatte dieses Band zu der Gebärenden, keine Kollegin hätte mich in diesem Fall vollumfänglich ersetzen können.

Die meisten Geburten liefen ruhig und eingespielt ab. Wir wussten ja, was die Gebärende brauchte oder sich wünschte, hatten wir doch im Vorhinein alles oft besprochen und die zu erwartenden Eventualitäten gemeinsam betrachtet.

Viele der von uns begleiteten Frauen bekamen ihre Kinder fast ohne unser Zutun, wir ließen sie einfach gebären. Saßen viel still und im Vertrauen dabei und beobachteten den Verlauf. Wir konnten bei Mehrgebärenden oft Korrelationen zu vorherigen Geburten herstellen, Zusammenhänge zwischen Verhalten und Befürchtungen erkennen.

Durch die Vorsorgen kannten wir die Ungeborenen, die Fruchtwassermenge, die Herzfrequenz, den Muttermund, das vaginale Gewebe. Wir hatten ein Bild von diesen beiden Menschen vor uns und konnten somit auch die Abweichungen erkennen.

Während die erste Kollegin in der Regel den aktiv begleitenden Part übernahm, dokumentierte und assistierte Hebamme Nummer 2 und hielt sich eher im Hintergrund. Wir haben es sehr genossen, in diesem Setting arbeiten zu können, und bekamen ausschließlich positives Feedback zu unserem Betreuungsmodell.

Leider hatte unser System auch einige Haken. Durch die Zusicherung an die Familie, von ihrer Bezugshebamme bei der gesamten Geburt begleitet zu werden, konnten wir immer nur sehr wenige schwangere Personen annehmen. Die errechneten Geburtszeiträume mussten einen Abstand von einigen Tagen haben, damit wir die Hausgeburtsbegleitung durch die Bezugshebamme garantieren konnten. Einmal haben wir zähneknirschend fünf Anfragen für einen Monat angenommen. Letztlich sind in den gesamten fünf Jahren nie zwei Geburten zusammengefallen. Wir haben in all den Jahren somit auch nie eine Geburt nicht begleiten können, weil wir bei einer anderen Familie beschäftigt waren.

Zu dritt mit kleinem Radius

Nach einem Jahr zu zweit wurde unser Team durch eine weitere Kollegin bereichert. Der Plan war, mehr Geburten betreuen zu können und für die zweite Hebamme eine größere Flexibilität zu gewinnen (Urlaub, Krankheit, freie Tage). Jede von uns betreute mindestens vier Schwangere pro Jahr, um den Sicherstellungszuschlag erhalten zu können. Wenn darüber hinaus aber nur noch eine oder zwei Begleitungen als erste Hebamme zustande kamen, dann war es finanziell nicht besonders ertragreich, Geburtsbegleitungen anzubieten.

Wir steuerten die Bezugs-Betreuungen ja nicht selbst, sondern die Familien wählten »ihre« Hebamme aus. Eine unserer Hebammen lernte in ihren Geburtsvorbereitungskursen hin und wieder Familien kennen, die sich durch ihre Erzählungen über die Hausgeburten anschließend für eine außerklinische Geburt interessierten. Sie brannte so für ihre Arbeit, dass sie einige der Familien, die sie zunächst gar nicht zur Geburtsbegleitung angenommen hatte, durch ihre enthusiastische und überzeugende Art von einer geplanten Klinikgeburt für die Idee einer Hausgeburtserfahrung begeistern konnte.

Diese Kollegin hatte immer die meisten vollumfänglichen Geburtsbegleitungen als erste Hebamme. Während sie zehn bis zwölf Familien pro Jahr begleitete, waren es bei uns anderen manchmal nur halb so viele. Bei mir führte dieser Umstand aber nicht zu Gefühlen der Konkurrenz oder Missgunst. Ich war froh, meiner restlichen Arbeit mit den Familien in der Schwangerschaftsbegleitung und Wochenbettbetreuung und in meinem Kursangebot gerecht zu werden. Die wenigen, aber besonders schönen und individuellen Geburtsbegleitungen waren quasi mein Sahnehäubchen auf dem Arbeitsalltag.

Außer uns gab es zu dieser Zeit in unserer Stadt mit rund 360.000 Einwohner:innen zwei weitere alteingesessene Hebammen, die Hausgeburtsbegleitungen anboten.

Im Nachhinein ist uns bewusst geworden, dass wir einen größeren Radius hätten anfahren müssen, um eine höheren Betreuungsschlüssel zu erreichen. Pro Hebamme mindestens acht Geburten einschließlich Rufbereitschaftspauschale im Jahr, bei einer durchschnittlichen Betreuungszeit von acht Stunden müssten es sein. Dafür hätten wir uns aber auch auf die Geburtshilfe spezialisieren und das weitere Betreuungsangebot deutlich reduzieren müssen, was für uns nie zur Debatte stand. Jede von uns arbeitete nebenher mit durchschnittlich fünf bis sieben Schwangeren pro Monat im Bereich der Vor- und Nachsorge und hielt wöchentliche Kurse unterschiedlicher Art in unseren Praxisräumen ab. Wir hatten also auch neben den Geburten gut zu tun und die Nachfrage nach diesen Tätigkeiten war deutlich größer als die nach Hausgeburten. Es kam uns also nicht besonders logisch vor, den einen sehr lukrativen und intensiv gefragten Bereich der Hebammenarbeit gegen einen anderen weniger nachgefragten, unsicheren Bereich auszutauschen.

Umsteuern tut Not

Das war wohl unser größtes Manko, wir hatten keinen richtigen Fahrplan. Wir haben uns nie professionelle Beratung gesucht, noch uns wirklich intensiv mit den Zahlen und Fakten auseinandergesetzt. Lange lief alles gut, jede Hebamme hatte genau so viel zu tun, wie sie wollte, und es schien sich einfach alles zu fügen. Bis ich – durch eine Unachtsamkeit ausgelöst – für ein Quartal den Sicherstellungszuschlag nicht beantragen konnte. Ich hatte nur zwei Frauen in diesem Quartal für die Hausgeburtsbegleitung angenommen, eine davon privat versichert.

Privat versicherte Menschen kann man nicht für den Sicherstellungszuschlag geltend machen, dieser wird vom Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen geleistet, private Versicherungen sind daran nicht beteiligt. Die andere Person war zwar gesetzlich versichert, gebar ihr Kind aber aufgrund einer Terminüberschreitung außerhalb des Quartals.

Ich konnte also die rund 2.000 Euro Sicherstellungszuschlag für dieses Quartal nicht beantragen, die Haftpflichtprämie von 10.462,20 Euro für dieses Jahr hatte ich natürlich bereits gezahlt.

Zum ersten Mal setzte ich mich hin und rechnete aus, wie viel ich in diesem und im vorangegangenen Jahr wirklich durch die Geburtsbegleitungen verdient hatte. Ich versuchte sogar, mir einen ungefähren Stundenlohn zu errechnen. Erschreckenderweise lag er knapp über dem Mindestlohn. In diesem Jahr durch den fehlenden Sicherstellungszuschlag sogar bei plus minus null. Zu diesem Zeitpunkt haben wir 700 Euro Rufbereitschaftspauschale erhoben. Diese Pauschale deckt den gesamten Rufbereitschaftszeitraum von fünf Wochen – drei Wochen vor dem erwarteten Geburtstermin bis 14 Tage danach. Wenn man durchschnittlich drei Wochen für eine Schwangere in Rufbereitschaft ist, verdient man dafür etwa 1,40 Euro pro Stunde. Die Rufbereitschaft wird von einer Hebamme für die Begleitung in Rechnung gestellt, tatsächlich waren aber in unserem Team immer zwei Hebammen in Rufbereitschaft.

Für eine Geburt erhält man pauschal 638,75 Euro. Diese Pauschale beinhaltet die Betreuung der Gebärenden acht Stunden vor der Geburt des Kindes und drei Stunden danach.

Wenn man mit einer durchschnittlichen Betreuungszeit von etwa sieben Stunden pro Geburt rechnet, kommt man auf einen Brutto-Stundenlohn von knapp 91 Euro. Mein Steuersatz betrug zu dieser Zeit 42 % Prozent, es blieben also lediglich 54 Euro netto.

Bedenkt man jetzt noch die Kosten für die Krankenversicherung von 950 Euro pro Monat, die gesetzliche Rentenversicherung von 500 Euro pro Monat, um nur einige der Versicherungen zu nennen, die ich als freiberufliche Hebamme alleine tragen muss, versteht man, warum die Hausgeburtsbegleitung für mich finanziell untragbar wurde.

Gleichzeitig standen bei einer Kollegin große private Veränderungen im Raum. In der nächsten Teamsitzung beschlossen alle Hebammen einstimmig, eine Pause von der Geburtshilfe einzulegen, mindestens für sechs Monate. Wir wollten die Zeit nutzen, um uns zu sortieren und neue Strukturen zu schaffen, in denen wir unser Bezugshebammen-System beibehalten, aber unsere Arbeit wirtschaftlicher gestalten können. Grundsätzlich wünschen wir uns mindestens eine weitere Kollegin, die uns auch in der Geburtshilfe unterstützt.

Wir würden Geburten gerne in festen Zweier-Teams begleiten. Jedes zweite Wochenende frei und Ferienzeiten wären in diesen Teams leichter zu strukturieren und würden den Familien eine überschaubare Anzahl von Betreuungskonstellationen geben. Anfragen für Begleitungen von Hausgeburten sollten wir künftig zentral steuern und gerecht verteilen. Das würde zu einer fairen Verteilung von Arbeitsbelastung und zu ähnlichen finanziellen Erträgen führen. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass zwei der aktuell vier Hebammen unserer Praxis im Bereich der Hausgeburtsbegleitung tätig sind. Sie könnten sich voll und ganz auf die Familien für die Hausgeburtsbegleitung konzentrieren, während die restlichen Hebammen die Praxisräume für alle weiteren Möglichkeiten der Hebammentätigkeit nutzen würden.

Durch das Schreiben dieses Artikels und die Auseinandersetzung mit den dynamischen Prozessen, die dazu geführt haben, dass wir die Geburtshilfe ruhen lassen, ist mir und dem Team klar geworden, dass wir diesen Bereich der Hebammenarbeit erst wieder aufnehmen wollen, wenn wir einen klaren strategischen Plan haben. Einen Plan, der sowohl finanzielle Sicherheit als auch das Fortführen der familienzentrierten Betreuungsweise ermöglicht.

Zitiervorlage
Schönemann, K. (2023). Wunsch und Wirklichkeit. Deutsche Hebammen Zeitschrift, 75 (12), 44–47.
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