Welches Prozedere empfehlen Sie kleineren Kliniken, die nicht für jede Ethnie alles im Leistungsangebot haben? Und wie stark stehen die Betroffenen selbst in der Pflicht, sich rechtzeitig darum zu kümmern?
Ich verstehe, dass es an Ressourcen mangelt. Es gibt aber inzwischen viele, sehr gute mehrsprachige Informationsmaterialien, Anamnesebögen und Wegweiser, die Kliniken nutzen können. Vielleicht gäbe es auch die Möglichkeit, dass kleine und größere Kliniken hier miteinander kooperieren – das ist bereits gang und gäbe, wenn es um fachliche, klinische Themen geht. Was mir aber wichtig ist zu betonen: Die allermeisten Patient:innen spüren trotz Sprachbarriere oder fehlendem Angebot eine empathische Haltung der Fachkräfte und einen sensiblen Umgang mit ihren Bedarfen. Damit ist schon viel gewonnen, insbesondere an Vertrauen zwischen Behandler:innen und Patient:innen.
Werden Sie für solche Probleme zukünftig bessere Lösungsvorschläge haben? Sie sind nun für ein Jahr – bis Ende August 2024 – an der Harvard-Universität in Cambridge in den USA, um dort über Anti-Diskriminierung in der Gesundheitsversorgung zu forschen. Aber wahrscheinlich lassen sich amerikanische Probleme nicht direkt auf Deutschland übertragen?
Das stimmt. Der Vergleich zwischen zwei Ländern kommt immer an seine Grenzen. Gleichzeitig glaube ich, dass es in Harvard viele Ansätze gibt, von denen wir lernen und die wir adaptiert in Deutschland anwenden können. Mich hat positiv beeindruckt, dass es seit vielen Jahren systematisch von den Universitäten, Versicherungsträgern, aber auch von der Politik Bemühungen und Fördergelder gibt, um Daten zu Diskriminierung im Gesundheitswesen zu erheben. Dadurch gibt es die Evidenzen, die aufzeigen, dass Schwarze Menschen und People of Color in der Gesundheitsversorgung benachteiligt werden.
Mit diesen Forschungsergebnissen wird aber auch weitergearbeitet und es werden konkrete Empfehlungen abgeleitet, die die Kliniken dann in ihrem klinischen Alltag anwenden können. In Deutschland sind wir noch am Anfang und beginnen jetzt erst, Rassismus und Diskriminierung im Gesundheitswesen systematisch zu erforschen.
Wie kam es zu dem Forschungsaufenthalt und wie ist das Programm aufgebaut?
Mein Forschungsaufenthalt ist in das sogenannte Harkness Fellowship des Commonwealth Funds eingebettet. Dabei handelt es sich um eine Stiftung in den USA, die ein effizientes und qualitativ hochwertiges Gesundheitssystem fördern soll, unter besonderer Berücksichtigung von marginalisierten Gruppen in der Versorgung, etwa Menschen ohne Papiere, Schwarzer Menschen und People of Color oder der LGBTQI*-Community.
Das Harkness Fellowship ermöglicht einen einjährigen Forschungsaufenthalt in den USA, um mit US-amerikanischen Gesundheitsexpert:innen zusammenzuarbeiten und Erkenntnisse zu gewinnen. In diesem Rahmen nehmen wir an Seminaren zum Gesundheitssystem und zur Gesundheitspolitik teil, besuchen Konferenzen, verschiedene Einrichtungen und Projekte und führen ein eigenständiges Forschungsprojekt durch. Obwohl ich erst seit einigen Wochen hier bin, habe ich schon viele Impulse für meine Arbeit in Deutschland mitnehmen können und lerne sehr viel.
Haben Sie ein spezielles Forschungsvorhaben?
Mein Forschungsprojekt wird sich mit Best-Practice-Lösungen und Interventionen in Gesundheitseinrichtungen beschäftigen. Ich möchte untersuchen, was in Krankenhäusern an Maßnahmen und Projekten umgesetzt wird, um Rassismus in der Gesundheitsversorgung entgegenzuwirken.
Wird nicht vieles in deutschen Kliniken zu Unrecht als Rassismus bezeichnet? Selbst wenn man aus bestem Wissen und Gewissen heraus die Behandlung bei Schwarzen und Weißen identisch gestaltet oder gerade unterschiedlich – in beiden Fällen steht schnell der Vorwurf von Rassismus im Raum. So fühlen sich Afrikanerinnen schlecht vom Kreißsaal behandelt, wenn sie kein Wehenmittel zur Einleitung bekommen, ein solches aber tatsächlich häufig benötigen, weil sie – unbekannterweise – häufiger als Weiße unter Myomen leiden.
Anders herum wird zur Vorsict hein schwarzes Neugeborenes schneller gepiekst, um dem Verdacht eines Neugeborenenikterus nachzugehen. Nun wird diesen jedoch Körperverletzung unterstellt, weil sich offensichtlich doch auch bei Schwarzen eine Gelbverfärbung der Haut mit dem entsprechenden Gerät erkennen lässt. Mitunter ist es einfach noch mangelndes Wissen in Bezug auf Vielfalt in einem System, das eh schon sehr überlastet ist. Gibt es auf solche Fragen in Harvard gute Antworten?
Besonders beeindruckt hat mich an Harvard, dass eine gemeinsame Vision und gemeinsam geteilte Werte hier in den Vordergrund gestellt werden. Es geht um Respekt, Anerkennung, Wertschätzung, den Dialog und das gemeinsame Lernen. Sowohl in Deutschland als auch in den USA wird sehr polarisiert über Rassismus gesprochen, insbesondere in politischen Kontexten. Aber hier an Harvard zu sein, macht noch einmal deutlich, dass es nicht um ein Gegeneinander, sondern ein Miteinander im Sinne einer besseren Versorgung für alle geht. Und daran haben wir alle ein Interesse.
Kennen Sie die Everyday Discrimination Scale von Prof. Dr. David R Williams (siehe Kasten)? Diese Skala wird nun immer bekannter. Williams unterrichtet derzeit in Harvard als Professor of Public Health and Professor of African and African American Studies and Sociology.
Tatsächlich ist Prof. David R. Williams in den USA mein Mentor und die Scale kenne ich. Ich bin sehr dankbar und froh, von ihm lernen zu dürfen und mit ihm zu arbeiten. Er untersucht seit vielen Jahren, wie sich sozioökonomischer Status, Rassismus und weitere Diskriminierungsdimensionen auf die körperliche und psychische Gesundheit auswirken und welche Folgen dies für die Gesundheitsversorgung hat.
Ich finde es wunderbar, wenn wir von der internationalen Zusammenarbeit im Bereich der Forschung profitieren. Einige Gesundheitseinrichtungen in Deutschland verwenden die Scale bereits.
Welche sind das? Gibt es darunter auch Projekte im Bereich der Geburtshilfe?
Vor kurzem erst habe ich einen Vortrag einer Kollegin im UKE gehört, die die Skala für den deutschen Gesundheitskontext validiert hat und die Auswirkungen von Rassismus und Diskriminierung bei Pflegefachkräften untersucht. Ich höre auch immer wieder von Bachelor- und Masterarbeiten, die sich mit dem Bereich der Geburtshilfe auseinandersetzen. Es wäre schön, wenn diese Forschungen gebündelt und sichtbar gemacht werden könnten.
Williams schreibt, dass er sich über die globale Auswirkung seiner Arbeit freut und überzeugt ist, dass seine Student:innen lernen, welche Faktoren die Gesundheit beeinflussen, und dass sie ihr Wissen als zukünftige Führungskräfte im öffentlichen Gesundheitswesen und in anderen Lebensbereichen weitergeben. Was hat Sie in einem seiner Seminare besonders inspiriert?
Mich haben zwei Aspekte sehr beeindruckt. Zum einen wurde im Seminar sehr viel historisches Kontextwissen vermittelt. Rassismus hat im Gesundheitswesen eine lange Geschichte. Diese Geschichte und die Auswirkungen auf das Gesundheitswesen heute zu verstehen, hilft sehr. Zum anderen hat mich sehr beeindruckt, wie differenziert und evidenzbasiert die Auseinandersetzung mit dem Thema erfolgte. Es ist schön zu sehen, dass künftige Führungskräfte dieses Wissen an die Hand bekommen und so für eine bessere Versorgung einstehen können.
Kommen Sie nach Ihrem Forschungsaufenthalt wieder ans UKE?
Ja. Ich freue mich sehr darüber, dass wir für die Zeit meines Forschungsaufenthaltes Josephine Nana Hill als Vertretung gewinnen konnten, da sie sowohl fachlich als auch zwischenmenschlich die Kompetenzen für diese wichtige Arbeit mitbringt. Nach meiner Rückkehr möchte ich das in Harvard Gelernte umsetzen.
Ich wünsche Ihnen einen wunderbaren Aufenthalt in Harvard!