Nachgefragt
Peggy Seehafer: Wäre es in diesem Fall sinnvoll gewesen, nach 500 ml Entleerung der Blase, den Katheter zu entfernen und zunächst abzuwarten, um eine Blutung der Blasenschleimhaut durch relativen Unterdruck zu vermeiden?
Lars Weisbach: Grundsätzlich kann aufgrund einer zügigen Entlastung der Harnblase beispielsweise im Rahmen eines Harnverhaltes eine petechiale Blutung aus der Blasenschleimhaut einsetzen. Des Weiteren kann es im Falle eines Rückstaus bis in die Nierenbeckenkelchsysteme zu einer Polyurie – einer krankhaft erhöhten Urinausscheidung > 2 l/24 h) – kommen, so dass in solch einem Fall eine Bilanzierung durchgeführt werden sollte. Im Rahmen des Geburtsvorgangs ist eine akute Entlastung der Blase sicherlich indiziert und ein Dauerkatheter nicht angezeigt, da dieser im kleinen Becken Raum für sich beansprucht, der möglicherweise zum Geburtshindernis wird. Nach der Geburt des Kindes ist eine Dauerkatheter-Einlage sinnvoll, um auf der einen Seite eine Bilanzierung (Einfuhr-Ausfuhr-Kontrolle) durchzuführen und auf der anderen Seite eine Retonisierung der Blase zu erreichen.
Die Polyurie erklärt, dass sich eben doch noch einmal 1900 ml in kurzer Zeit sammeln konnten. Welches Krankheitsbild kann hinter so einer Blasenfunktionsstörung stehen und wie entsteht so eine »Riesenblase?
Wahrscheinlich liegt eine Erkrankung vor, welche einerseits zu einer Obstruktion (beispielsweise Cystocele, Detrusosphinkter-Dyskoordination oder selten eine Harnröhrenstriktur) oder andererseits zu einer unzureichenden Blasenentleerung auf dem Boden eines hypotonen Blasenmuskels (M. detrusor vesicae) führt. Eine neurogene Blasenentleerungsstörung, welche zu einem hypotonen Detrusor führt, kann beispielsweise im Rahmen einer neurologischen Erkrankung, wie einer Multiplen Sklerose (MS) oder Stoffwechselerkrankungen wie einem Diabetes mellitus, auftreten.
Handelt es sich um eine Pathologie im Sinne einer neurogenen Blasenfunktionsstörung oder vielleicht einfach um eine anatomisch-physiologische Besonderheit dieser Frau?
Ein Harnverhalt mit über 2.000 ml Urin ist nicht mehr als »physiologisch« im Rahmen einer Geburt oder kurz vor der Geburt, wie sie im Rahmen eines Ödems im Bereich des Blasenhalses und der Harnröhre auftreten kann, zu sehen. Aus diesem Grund sollte eine weitere Abklärung mittels Sonografie der Nieren, Laborkontrolle (Retentionsparameter, Kreatinin) und im Verlauf mittels Cystoskopie, vaginaler Einstellung und Urodynamik (Blasendruckmessung) erfolgen.
Was ist das Ziel der von den Urologen angeordneten drei- bis vierwöchigen Dauerkatheterisierung? Und was kommt auf die junge Mutter dann zu?
Unter der Dauerableitung ist mit einer Retonisierung der Blase zu rechnen. Nach Entfernung des Katheters sollte eine Harnstrahlmessung und eine sonografische Restharnkontrolle durchgeführt werden. Der genaue Verlauf kann aber erst nach Durchführung der oben genannten Diagnostik abgeschätzt werden.
Ich danke Ihnen für Ihre Erklärungen. Für die Frau hoffe ich, dass es eine Heilung für ihre Blase gibt und sich nicht etwa eine ernsthafte Stoffwechselstörung hinter dem Problem verbirgt.