Frauke Lippens, Hebamme in Hamburg: »Wer hätte das gedacht: Nach 43 Jahren Mitgliedschaft im DHV habe ich gekündigt.«
Foto: © Amina Graf
Sie ist Hebamme aus Leidenschaft. Sie hat verschiedene berufliche Wege beschritten, innovativ gedacht und ihr Wissen weitergegeben. Sie war verbandspolitisch aktiv, doch heute bleibt ihr aus finanziellen Gründen nur noch die Kündigung ihrer Mitgliedschaft im Deutschen Hebammenverband. Enttäuscht nach einem arbeitsintensiven und doch erfüllten Hebammenleben fühlt sie sich vom Berufsverband fallengelassen. Was ist geschehen?
»Wollen Sie sich das wirklich antun, bei dem geringen Verdienst?«, fragte mich die Ärztin so oder so ähnlich während der amtsärztlichen Untersuchung vor Beginn der Hebammenausbildung und meinte, dass die Ansprüche mit zunehmendem Alter wachsen würden. Als junge Studentin, in einer WG lebend, schreckte mich das nicht. Ja, ich war fest entschlossen, mein Studium aufzugeben, um mit Kopf, Herz und Hand zu arbeiten. Ich hatte die Mitte der 1970er boomende Literatur rings ums Kinderkriegen verschlungen und in den Semesterferien in zwei großen Frauenkliniken gejobbt.
Ich hatte eine feministische Frauenberatungsstelle mit aufgebaut und bot dort unter anderem Gruppen für Schwangere an. Gegen Ende der Ausbildung übernahm ich bereits einige Wochenbettbetreuungen, abgesichert durch erfahrene Kolleginnen.
Nach dem Hebammenexamen 1982 startete ich voll durch: Geburtsvorbereitungs- und Rückbildungskurse, Wochenbettbetreuungen sowie Beleggeburten in einer freundlichen Klinik vor den Toren Hamburgs. Ich arbeitete regelmäßig 60 bis 70 Stunden pro Woche, manchmal mehrere Nächte pro Woche – eben Geburtshilfe.
Die schönsten, aber auch anstrengendsten Jahre
Der Beruf war mehr Berufung als Geldjob. Es störte mich nicht, dass ich nur jedes zweite Jahr einen Urlaub einplanen konnte. Das Privatleben strebte gegen Null und diente nur dazu, wieder fit für die Arbeit zu werden.
Als meine Tätigkeit als inoffizielle Beleghebamme von der Klinikverwaltung wegen des großen Erfolges untersagt wurde – damals gab es Tagessätze und keine Fallpauschalen, das heißt ambulante Geburten warfen keinen Gewinn ab – wechselte ich in die Hausgeburtshilfe.
Noch heute empfinde ich diese Jahre als die schönsten, aber auch anstrengendsten meines Hebammenlebens. Die unplanbare Nachtarbeit nach vollen Tagen samt Schlafdefizit tat meiner Psyche nicht gut. 1996 gründete ich dann mit einer Kollegin eine große Hebammenpraxis, finanziert durch meine Ersparnisse aus 14 Jahren, und zog mich langsam aus der Geburtshilfe zurück. Stattdessen begann ich, Fortbildungen zum gesamten Spektrum der Hebammentätigkeit anzubieten.
Auch ganze Klassen von Hebammenschülerinnen und Medizinstudent:innen kamen zu Besuch. In 21 Jahren haben ungefähr 30 Kolleginnen als Untermieterinnen mitgearbeitet, einige kürzer, andere länger, und die komplette Ausstattung für Kurse und Vorsorgeuntersuchungen samt CTG und HB-Photometer sowie den unkomplizierten Laborkontakt geschätzt.
Aber Gewerberäume (wie auch Wohnungen) in einer Großstadt sind teuer; so habe ich weiterhin viel gearbeitet und den größten Teil meines Gewinns wieder in die Praxis investiert. Und sowohl personell als auch zeitlich am meisten organisiert, geputzt und irgendwann eine Putzhilfe finanziert.
Kurze Auszeiten nach einer großen OP und während einer Reha (Burnout) habe ich durch den Verkauf von Teilen meiner Bibliothek und kleiner Erbstücke finanziert.
An guten Tagen sagte ich: »Die Praxis war mein Traum und die Kolleginnen haben mir geholfen, ihn zu verwirklichen«. An schlechten Tagen fühlte es sich eher so an: »Ich leite eine große Praxis und die Kolleginnen fahren in Urlaub.« Das Thema »geringer, unangemessener Verdienst« lief immer parallel. Als dann in einem Jahr vier Kolleginnen schwanger wurden und keine Nachfolgerinnen in Sicht waren, war das Ende der Praxis vorprogrammiert. Seitdem bin ich Untermieterin in einem Yogastudio beziehungsweise nutze mein häusliches (Wohn- und) Arbeitszimmer.
» Das Thema ›geringer, unangemessener Verdienst‹ lief immer parallel. «
Und heute?
Ich bin fast 70 Jahre alt und habe eine Behinderung mit einem Grad von 40 aufgrund einer vielfältigen Chemikalienunverträglichkeit (MCS). Im Arbeitsalltag betrifft dies synthetische Duftstoffe und Alkohole (siehe auch DHZ 12/2016, S. 68ff. und 2/2017, S. 60ff.). Das schränkt meine Arbeitsmöglichkeiten ein; ich kann keine Hausbesuche mehr durchführen. Frauen, die mit ihrer Wochenbetthebamme zufrieden waren, besuchen dann auch verständlicherweise eher deren Rückbildungskurse als meine mit der strengen Auflage, völlig frei von synthetischen Duftstoffen zu sein.
Ich arbeite seit einigen Jahren zunehmend reduziert als Hebamme, inzwischen nur noch höchstens zehn Stunden in der Woche. Seit etwa 20 Jahren besteht mein Jahresurlaub aus einer Woche Rügen, die Fahrtkosten schenken mir liebe Nachbarn. Theater- und Ballettbesuche sind Literaturstreams gewichen, da sie für mich unbezahlbar und wegen der Behinderung auch nicht mehr machbar sind.
Kein Platz im DHV für alte Hebammen?
Mein Steuerbescheid für 2022 wies ein zu versteuerndes Einkommen in Höhe von 2.635 Euro auf; dem standen Beiträge für den Deutschen Hebammenverband (DHV) und den Hamburger Landesverband (HVH) sowie Rechtsschutz- und Haftpflichtversicherung in Höhe von 774 Euro gegenüber.
Meine Finanzberaterin sagte vor zwei Jahren, als sie meinen knapp berechneten Bedarf mit dem Vermögen abglich: »Wenn du so weiterarbeitest wie bisher, dann bist du in zehn Jahren bei Null. Wenn du jetzt aufhörst, in fünf Jahren.«
Ich gehöre noch zu denen, die bis Mitte der 1980er eine Lebensversicherung in Höhe des Beitrags, der auch für die BfA galt, abschließen konnte. Damals wurde schon die Sicherheit zukünftiger Renten bezweifelt. Ob meine Entscheidung für diese Form der Alterssicherung eine »Milchbubirechnung« war, entscheidet die Lebensdauer.
Ich erinnerte mich daran, dass es früher beim BDH, dem Vorläufer des DHV, einen Tarif für gering Verdienende und alte Hebammen gab, und schrieb deshalb die Geschäftsstelle an. Die Antwortmail ließ mich wissen, dass es den Tarif nicht mehr gebe und ich könne aus dem DHV austreten. Das konnte ich mir als ehemalige Landesvorsitzende und Beirätin im Präsidium des BDH nicht vorstellen. Mehrere weitere Mails mit der Bitte, eine Lösung zu finden, wurden nicht beantwortet; es gab nur eine Eingangsbestätigung.
Daraufhin schrieb ich zweimal – im Februar und März vergangenen Jahres — die Präsidentin an, auch hier: keine Reaktion. Ich empfinde das als unhöflich, unkollegial und unprofessionell. Mit der vor kurzem angekündigten Erhöhung der Beiträge, die inhaltlich sicher vertretbar ist, sah ich mich genötigt, die Mitgliedschaft zu kündigen. Das wurde dann auch flink bestätigt. Im Newsletter vom 18. September sieht sich der DHV als »starke Gemeinschaft aller Hebammen«. Wirklich?
Schleichender Abschied
Wer hätte das gedacht: Nach 43 Jahren Mitgliedschaft im DHV habe ich gekündigt. Mein ungewollter, schleichender Abschied von der Hebammenarbeit sieht so aus: In den letzten drei Jahren habe ich den Vater einer Freundin nach Schlaganfällen bis zum Tod begleitet. Momentan habe ich zwei Putzstellen: eine bei einer Veganerin, die keine Duftchemie verwendet, die andere bei einer Familie, in der zwei Personen schwer von Long-Covid betroffen sind – auch dort kommen nur parfümfreie Produkte zum Einsatz.
Geht es anderen Kolleginnen ebenso? Schulbegleitung von Kindern mit Einschränkungen, Alltagsbegleitung, Arbeit im Drogeriemarkt, Arbeit im Pflegeheim; alles als Minijob – das sind Strategien, mit denen Kolleginnen ihre Renten von 1.000 bis 1.100 Euro aufbessern. Das Auto wird abgeschafft, in eine deutlich kleinere Wohnung umgezogen. Was für eine Verschwendung von Hebammenkompetenz!