Der Alkoholkonsum von Hebammen und ÄrztInnen ist ein Tabu. Erste Untersuchungen zum Alkoholmissbrauch am Arbeitsplatz im Krankenhaus zeigen, dass dieses Thema bisher unterschätzt wird. Ein Blick hinter die Kulissen.
Auch beim Glühwein in der Freizeit sollte der nächste Dienst nicht aus dem Blick geraten. Foto: © imago/westend61
Der Alkoholkonsum von Hebammen und ÄrztInnen ist ein Tabu. Erste Untersuchungen zum Alkoholmissbrauch am Arbeitsplatz im Krankenhaus zeigen, dass dieses Thema bisher unterschätzt wird. Ein Blick hinter die Kulissen.
Alkohol ist eine legale Rauschdroge, die bei übermäßigem Genuss die Urteilsfähigkeit einschränkt (siehe auch DHZ 8/2016). Ein chronischer Konsum kann psychische Störungen auslösen oder verstärken, ganz besonders Angst und Depressionen (Oberndörfer 2007). Weltweit ist der schädliche Alkoholkonsum zwischen 1990 und 2010 von der acht- zur fünfthäufigsten Ursache für Todesfälle und Behinderungen aufgestiegen (Sassi 2015). Das obwohl der durchschnittliche Konsum reinen Alkohols um 2,5 Prozent pro Kopf auf 9,1 Liter im Jahr in den letzten 20 Jahren gesunken ist. Das sind wahlweise 570 Gläser Wein, 700 kleine Bier oder 1.300 Schnäpse. In 365 Tagen wären das dann zum Beispiel zwei kleine Bier täglich. In Deutschland liegt der jährliche Alkoholgenuss mit elf Litern pro Person über dem Durchschnitt. Allerdings verteilt sich der Alkoholkonsum nicht gleichmäßig über die gesamte Bevölkerung, vielmehr trinken 20 Prozent der Deutschen mehr als 60 Prozent des Gesamtverbrauchs (siehe Abbildung).
Der Alkoholkonsum ist innerhalb der Bevölkerung stark konzentriert. Die 20 Prozent der Deutschen, die den höchsten Alkoholkonsum verzeichnen, trinken mehr als 60 Prozent des gesamten Alkohols. Abbildung: © Babor T et al. 2001
In Deutschland gibt es kein generelles Alkoholverbot am Arbeitsplatz, auch nicht in Krankenhäusern. In der DDR gab es seit 1952 ein generelles Verbot für Alkohol am Arbeitsplatz, das mit der Wiedervereinigung und der Übernahme der bundesdeutschen Gesetze entfiel. Solange ArbeitnehmerInnen die volle Arbeitsleistung erbringen und nicht gegen Pflichten im Arbeitsvertrag verstoßen, dürfen sie grundsätzlich Alkohol konsumieren. Der Arbeitgeber kann jedoch aufgrund seines Weisungsrechtes ein Alkoholverbot anordnen. In Unternehmen mit Betriebsrat muss dieser einem Alkoholverbot zustimmen. Missachten MitarbeiterInnen die Alkoholvorschriften ihres Unternehmens und erscheinen alkoholisiert zur Arbeit oder trinken im Dienst, kann der Arbeitgeber sie dafür zur Verantwortung ziehen.
Nachfragen bei verschiedenen Hamburger Klinikkonzernen und Kliniken über ihre Regelungen für Krankenhausmitarbeiter ergaben nur eine einzige Antwort mit Verweis auf die Hausordnung, die für PatientInnen und Angestellte gilt: „Der Konsum von Alkohol und Drogen ist nicht gestattet.”
Alle befragten ärztlichen und Hebammen-KollegInnen haben noch nie in einem Arbeitsvertrag einen Satz wie diesen unterschrieben: „Aufgrund der Gefahr für Leben und Gesundheit ist den MitarbeiterInnen der Alkoholkonsum jeder Art in allen Dienstgebäuden und an allen Arbeitsplätzen innerhalb und außerhalb der Arbeitszeit verboten. MitarbeiterInnen, die dienstlich ein Fahrzeug im Straßenverkehr führen oder PatientInnen betreuen, sind besonders verpflichtet auch außerhalb der Arbeitszeit Alkohol allenfalls nur in geringem Maße zu sich zu nehmen. Sie müssen bei Arbeitsantritt oder Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit völlig nüchtern sein.”
Als Hebamme habe ich allerdings schon mehrfach mit alkoholkranken KollegInnen gearbeitet, ohne dass sie von ihrer Abteilungsleitung zur Verantwortung gezogen oder aus dem Dienst genommen wurden. Schweigend wurde das Verhalten von allen gegenüber Patientinnen gedeckt, so gut es ging.
Alkohol macht gute Laune und mutig. Die dauernde Überlastung am Arbeitsplatz und der fehlende Ausgleich sind oft ein Grund, den beruflichen Stress mit Alkohol oder Medikamenten zu kompensieren. Das trifft auf viele Menschen in unserer Gesellschaft zu. Aber auf ÄrztInnen und Pflegekräfte überproportional häufig. Gemäß einer Untersuchung mit 1.278 TeilnehmerInnen der Bundesärztekammer von 2011 leiden sieben bis acht Prozent der ÄrztInnen an einer Suchterkrankung mit schädigendem Konsum. Der durchschnittliche Anteil in der Bevölkerung liegt bei zwei bis drei Prozent. In dieser Untersuchung konnte auch ein signifikanter Zusammenhang zwischen stressbedingtem Substanzkonsum und Depressivität nachgewiesen werden. Die Suizidrate sei unter den MedizinerInnen 3,4-mal so hoch wie bei der Allgemeinbevölkerung (Badenberg 2015).
Aufgrund der freiwilligen Teilnahme an der Studie ist allerdings davon auszugehen, dass die TeilnehmerInnen sich nicht repräsentativ über die Ärzteschaft verteilen, was die Aussagekraft der Daten einschränkt. Nichtsdestotrotz weisen die Ergebnisse darauf hin, dass das Thema ernst zu nehmen ist und gezielte präventive oder interventive Maßnahmen zum (Selbst-)Schutz der ÄrztInnen und ihrer PatientInnen notwendig sind.
Einige Hebammen werden sich gut daran erinnern oder erleben es noch heute, dass im Kreißsaal ohne schlechtes Gewissen Alkohol zum Essen oder zur Begrüßung eines Neugeborenen getrunken wird.
Der Fragebogen Alcohol Use Disorder Identification Test (AUDIT) ist für das Screening alkoholbezogener Störungen international gebräuchlich und auch auf Deutsch verfügbar. Die Punkte für die Auswertung finden sich in Klammern bei der Antwort (Frage a+b) bzw. über den Antworten (Frage c–j).
Für Hebammen liegen leider keine Untersuchungen vor. Aber Hebammen haben den Ruf, dem Alkohol nicht abgeneigt zu sein (Seehafer DHZ 8/2016). Was die Überlastung und den psychischen Stress am Arbeitsplatz angeht, dürften sie sich kaum von den ÄrztInnen unterscheiden. Als fast ausschließlich weibliche Berufsgruppe trinken sie vielleicht weniger, aber aufgrund der Angleichung des weiblichen an das männliche Trinkverhalten (Otto 2016) und des hohen Bildungsniveaus der Hebammen ist leider zu befürchten, dass kein Unterschied besteht. Vielleicht findet sich für die Zukunft eine Kollegin oder Studentin, die sich diesem Thema widmen möchte. Es wäre sicher spannend, nicht zuletzt im Rahmen von Selbstfürsorge. Denn bisher fallen Hebammen noch in ein schwarzes Loch und erfahren wenig Hilfe für eine anerkannte Krankheit (Huss 1852; Jellinek 1951).
Wie viele Hebammen in einer Co-Abhängigkeit leben und arbeiten, also zum Beispiel als Partnerin oder Kollegin alkoholabhängige Menschen selbstlos unterstützen und deren Verhalten nach außen decken, ist sicher ein weiteres zu untersuchendes Thema. Die Unterordnung der eigenen Bedürfnisse, die Überforderung und das Bemühen, die Sucht versteckt zu halten, sind mindestens so zerstörerisch wie die Sucht für die Abhängige selbst. Die Folgen sind psychosomatische Symptome wie Kopfschmerzen, Herzbeschwerden, Depressionen und Verspannungen. Jede ist eingeladen, den angefügten international gebräuchlichen AUDIT (Alcohol Use Disorders Identification Test) auszufüllen und das eigene Trinkverhalten zu reflektieren (siehe Fragebogen). Gerade im Winter, wo an jeder Ecke Versuchungen wie Glühweinstände warten, sollte jede die gesunde Balance zwischen Genuss und Risiko überdenken.
Badenberg C: Ein Traumberuf, der zur Zerreißprobe wird. Ärzte Zeitung. 9.11.2015
Bekanntmachung der Arbeitsschutzbestimmung 1 – Allgemeine Vorschriften – v. 23.07.1952: Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik 1952, S. 691–692 (§ 4 [f])
Geuenich K: Alkohol- und Medikamentenmissbrauch bei Ärzten: Gefährliche Stressbewältigung. Deutsches Ärzteblatt: PP 10, Ausgabe Februar 2011, Seite 73
Huss M: Chronische Alkoholskrankheit oder Alcoholismus chronicus. C. E. Fritze. Stockholm und Leipzig 1852
Jellinek EM: The Disease Concept of Alcoholism. College and University Press. New Haven 1951
Kochan T: Blauer Würger. So trank die DDR. Aufbau-Verlag. Berlin 2011
Oberndörfer K: Suchterkrankungen. in Psychologie und Psychopathologie für Hebammen. Thiem 2007
Otto P, Böhmler D: Alkohol in der Schwangerschaft: Ein Gläschen in Ehren. DHZ 68(8)16–21. 2016
Sassi F: Tackling Harmful Alcohol Use: Economics and Public Health Policy. OECD Publishing. Paris 2015