Keinesfalls geben die Hände den Rhythmus vor, sondern die Hände richten sich nach dem Atem der Frau und diese konzentriert sich dadurch auf »Nach unten und weit«, was sie auch mit Tönen verbinden kann wie »uunnten – aaauf – weeeeit« und was ihr den Weg des Kindes vor ihr inneres Auge führt. Dass dies eine Eins-zu-eins-Betreuung erfordert, ist selbstredend. Das bedeutet eine wirklich gute Anleitung für die begleitende Person. Die Frau sollte auch mental und emotional gehalten werden. Unsicherheit und Angst ist bei einer Berührung ebenso wahrnehmbar wie Geborgenheit, Vertrauen und Zuversicht.
Ätherische Öle im Massageöl
Bei jeder Massage sind Pflanzenöle der Garant für eine gute und gleitende Wirkung, um jede Art von Reibung oder gar Schmerz zu vermeiden. Mit einem Pflanzenöl gleiten die Hände der Hebamme oder Begleitperson geschmeidig und weich auf dem Körper der Frau, so wird das Gewebe »geschmeidig«. Es entsteht ein Gefühl von Weichheit, Lockerheit, Dehnbarkeit. Während der Geburtsstunden eignen sich grundsätzlich native, kalt gepresste Pflanzenöle, da sie alle eine hautpflegende Eigenschaft aufweisen.
Werden ätherische Öle in ein fettes Pflanzenöl (Massageöl) eingemischt, dienen diese nicht nur dem Duft, sondern auch der Stabilität. Ätherische Öle verlängern die Haltbarkeit der nativen fetten Pflanzenöle auf etwa zwei Jahre.
Ohne die fetten Öle wären ätherische Öle im Prinzip hautreizend und schleimhautätzend, da es sich um extreme Pflanzenkonzentrate handelt. Reine ätherische Öle sind unterschiedlich haltbar (von sechs Monaten bis zu mehreren Jahren), sie sind ebenfalls sauerstoff- und lichtempfindlich. Für die innere Einnahme sind sie nicht geeignet. Mittels Wasserdampfdestillation werden sie gewonnen und weisen große Duftvarianten auf.
Aromatherapie geht immer zunächst über die Nase, egal wo ein Duft appliziert wird. Ätherische Öle aktivieren binnen hundertstel Sekunden die Riechsinneszellen, somit das zentrale Nervensystem und besitzen aufgrund ihrer kleinen Molekülgröße (weniger als 1.000 Dalton) zellgängige Eigenschaften, um die Hautbarriere zu überwinden. Die Öle überwinden auch die Plazentaschranke und werden über den Stoffwechsel der Mutter metabolisiert und ausgeschieden. Allerdings verflüchtigt sich ein großer Teil auf dem Weg von der Haut in die Blutbahn. Doch gelangen sie auch über die Muttermilch zum Kind, laut Forschungen zu einem Anteil von unter 1 % (Steflitsch et al., 2023).
Eisenkraut zur Förderung der Wehen
Eisenkraut in einer wehenfördernden Massage – warum hat sich das bewährt? Zunächst gilt es zu wissen, dass es vor beinahe vier Jahrzehnten eine große Irritation gab. Die Welt der ätherischen Öle eroberte die Hebammenarbeit. Es begann gut zu riechen rund um Geburt. Zunächst war es das Ziel, ein Öl zu haben, um Episiotomien zu verhindern. Dazu sollte der Damm weich und geschmeidig sein. Also lag es nahe, native fette Pflanzenöle zu verwenden. Das wussten schon unsere Vorgängerinnen und wendeten es traditionell an.
Neben dem von mir 1988 entwickelten Dammmassageöl folgte ein wehenanregendes Öl, um Einleitungen zu vermeiden. Die Aromatherapie war für viele grandios. Doch auch Fehlinformationen griffen um sich. So kam es zu der Verwechslung der diversen Eisenkrautpflanzen.
Überlieferungen wurden publiziert oder berichtet, dass Hebammen das europäische beziehungsweise das deutsche Eisenkraut (Verbena officinalis) nutzten, um Wehen anzuregen oder diese zu unterstützen. Dieses duftet jedoch nicht und enthält kein ätherisches Öl. Für Verwirrung sorgte das destillierte und in den 1980ern hochgelobte Eisenkrautöl aus Frankreich. Das duftende Eisenkraut (Verbene, Verbena, Vervain, Zitronenverbene, Zitronenstrauch: Lippia citrodora) wurde von Ölfirmen angepriesen. Zusätzlich verwirrte die Rarität eines Eisenkrautöls aus den Anden Perus (Aloysia citrodora). Festzuhalten ist: Das wohlriechende französische Eisenkraut schmeckt zwar Gebärenden fein als Teedroge, aber es pflegt höchstens die Magen- Darmschleimhäute.
Das traditionelle Eisenkraut (Verbena officinalis), das sich zur Wehenanregung eignet, ist dagegen überhaupt nicht wohlschmeckend, sondern eher bitter. Alle diese Eisenkrautpflanzen zählen zu der Familie der Verbenacea.
In einem der ältesten Lehrbücher der biologischen Heilmittel (Madaus, 1938) wird dem Kraut eine uterustonisierende Wirkung aufgrund des enthaltenen Verbenalins zugeschrieben, jedoch liegen bis heute keine klinischen Forschungen vor. Im aktuellen Fachbuch »Der Wichtl« (Blaschek, 2016) wird auf Befunde von 1998 zur wehenfördernden und emmenagogen (die Monatsblutung anregenden) Wirkung hingewiesen. Synergetische Effekte zu Prostaglandin E2, also auch LH- und FSH-Steigerungen, sind ebenso genannt wie eine HCG-Sekretionshemmung der Plazenta durch Verbena-Extrakte. Leider liegen bis heute keine Prüfungen der Kommissionen ESCOP (European Scientific Comitte of Phytotherapie) oder HMPC (Herbal Medical Products Committee) vor. Die Geburtshilfe ist nicht interessant für Forschungen, da dies als unethisch gilt.
Das ätherische Öl des französischen Eisenkrauts (Lippia citrodora) kann als Raumduft oder Riechfläschchen beziehungsweise ein bis zwei Tropfen auf einer Kompresse in Nasennähe deponiert werden, es wird von den Gebärenden gerne angenommen. Hebammen machen oftmals die Erfahrung, dass Frauen am Ende der letzten Geburtsphase den zitrusartigen Duft als konzentrationsfördernd und motivierend empfinden. Für Hautanwendungen kann das Öl, eingemischt in fette Pflanzenöle, als Rezepturarzneimittel in niederer Dosierung (unter 1 %) in spezialisierten Apotheken hergestellt werden.
In Aromapflegeprodukten muss jedoch das Öl aus den Anden verwendet werden, da die europäische Kosmetikverordnung den Citralgehalt des französischen Öles als zu hoch bezeichnet und eine Sicherheitsbewertung nicht erreicht werden kann.
Ingwerwurzel-, Nelkenknospen- und Zimtrindenöl
Ingwer, Zimt und Nelke zählen zu den erwärmenden Gewürzen und sind als durchblutungsfördernd bekannt. Nelken- und Zimtöl enthalten einen relativ hohen Anteil an reizenden Phenolen, daher müssen diese mit Bedacht eingesetzt werden.
Ingwerwurzelöl zählt zu den recht gut hautverträglichen Ölen. Der Duft des eher zart scharfen Öles erinnert über das limbische System an Ingwerspeisen und seine scharfe typische Gewürznote. Das Gemüsegewürz ist, wissenschaftlich bestätigt, hilfreich bei Übelkeit und Erbrechen, auch in der Schwangerschaft (Wenigmann, 2017). Zudem wird es in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) wie im Ayurveda als Immunstimulans eingesetzt. Wirksam sind bei der Ingwerwurzel die wasserlöslichen Senfölglykoside. Diese großen Moleküle gehen allerdings bei der Wasserdampfdestillation nicht ins ätherische Öl über. Der Geruch jedoch aktiviert das menschliche Riechsystem und erinnert an Ingwergenuss, was das zentrale Nervensystem ankurbelt. Diese Geruchswahrnehmung und somit die Geruchserinnerung hat nicht immer direkt etwas mit den Wirkstoffen der Vielstoffgemische zu tun. Der frische und intensive Duft jedoch verändert den Geruch der Fettsäuren in den Massageölen und diese werden nasenfreundlich, daher ist Ingwer eine ideale Ergänzung zu den warm-würzigen Duftnoten von Nelke und Zimt.
Nelkenöl ist eine unklare Bezeichnung. Es muss immer das ätherische Öl aus den Nelkenknospen benutzt werden und nicht die günstigere Variante aus Nelkenblättern. Dieses beinhaltet einen zu hohen Phenolgehalt und kann viel zu sehr hautreizend sein. Dasselbe gilt beim Zimtöl: Es muss das Zimtrindenöl und nicht das reizendere Zimtblätteröl gewählt werden. Hier ist es außerdem wichtig, das Zimtrindenöl aus Ceylon zu wählen und nicht das kostengünstigere ebenfalls reizende Cassiazimtöl.
Nelken- und Zimtöl sind wegen des Phenolgehalts sehr durchblutungsfördernd und dadurch erwärmend, aber auch hautreizend. Die Öle müssen daher immer achtsam dosiert werden und sollten nicht mehr in der letzten Geburtsphase zum Einsatz kommen, sondern anstelle von geburtseinleitenden Maßnahmen als Kreuzbein- oder Uterusfundusmassage, als Badezusatz (1–2 EL vermischt in Flüssigseife) oder als Fußmassage oder warmes Fußbad (1–2 TL vermischt in Flüssigseife).
Ist eine ausreichende Wehentätigkeit vorhanden, wird das Öl nicht mehr benutzt. Ab diesem Zeitpunkt sind dann Massageöle mit entspannenden Wirkstoffen wichtiger. Diese bewirken mit ihren sinnlichen Duftnoten eine vermehrte Freisetzung von Serotoninen. Diese wiederum wirken in der Kombination mit Oxytocin, das zusätzlich durch eine einfühlsame Massage aktiviert wird, als »natürliche, körpereigene« Schmerzmittel. Nicht umsonst sprechen Frauen und Hebammen vermehrt von einer »Lustgeburt«, denn es werden vermehrt Steroidhormone (Sexualhormone) ausgeschüttet, ebenfalls beeinflusst über das limbische System. Daher bringen nicht die Wirkstoffe oder die Massage allein den Erfolg, sondern das Zusammenspiel von Zuwendung, Duft und Wirkstoffen.
Achtsame Dosierung
Eine achtsame Dosierung von ätherischen Ölen in fetten Pflanzenölen ist Voraussetzung für den Erfolg. Aromamischungen müssen mit Fachkenntnissen und geprüfter Qualität hergestellt werden und sind über Apotheken zu beziehen. Sie sind als Hautpflegeprodukte unter dem Label der Kosmetikverordnung im Handel, da es derzeit keine Möglichkeit gibt, sie als Fertigarzneimittel in den Handel zu bringen. Doch letztlich ist das für Hebammen auch besser, da sie nicht mit Arzneimitteln handeln dürfen.
Werden hauseigene Rezepturen verordnet, müssen diese, von Fachpersonen verordnet, in einer spezialisierten Apotheke angefertigt werden, um den Vorschriften gerecht zu werden und zudem die Haftung auf zwei Schultern zu verteilen: auf Hersteller:innen und Anwender:innen. Produkte als Kosmetikpflege ad hoc herzustellen, ist nicht möglich, da aufwendige und umfangreiche Sicherheitsbewertungen viele Wochen bis Monate in Anspruch nehmen.
Nicht nur in der Aromatherapie, sondern auch in der Phytotherapie, also bei allen Einsatzgebieten von pflanzlichen Wirkstoffen, hat noch immer der Satz von Paracelsus aus dem 15. Jahrhundert Gültigkeit: »Nichts ist ohn` Gift, nur die Dosis allein macht`s, dass ein Ding zum Gift wird.«
Pflanzenpräparate in der Hebammenberatung
Hebammen müssen achtsam sein, was die rechtliche Situation betrifft: Beraten und sich von Frau zu Frau unterhalten, Wissen austauschen, Rat geben ist immer erlaubt – so wird Wissen weitergegeben. Therapieren ist den Ärzt:innen und Heilpraktiker:innen vorbehalten. Wissen zu besitzen, ob und welche Pflanzen im Tee, als Hautpflegeprodukt oder potenziert im homöopathischen Arzneimittel hilfreich sein können, um die Gesundheit zu erhalten oder präventiv zu wirken und um medikamentöse Interventionen zu vermeiden, gehört im Prinzip zu einer fachkompetenten Hebammenberatung, wenn die Frau entsprechende Fragen stellt oder Auskunft benötigt.
Nach wie vor gilt der Satz: Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Pflanzen und ihre Wirkstoffe zu verharmlosen, ist ebenso falsch, wie Warnungen auszusprechen, weil neue Einzelstoffstudien beweisen wollen, dass Mütter seit Jahrhunderten sich und ihre Kinder unwissentlich mit angeblich kritischen Pflanzenwirkstoffen versorgt haben (Stadelmann, 2024).
Wirkstoffstudien von Pflanzen müssen immer mit Fachkenntnis gelesen werden, um sie bewerten zu können. Einfacher ist es, Pharmazeut:innen zu fragen. In unzähligen Beipackzetteln ist bei Phytopharmaka zu lesen: »Mangels vorliegender Daten wird xy nicht in Schwangerschaft und Stillzeit empfohlen.« Diese Aussage impliziert jedoch kein Verbot. Es benötigt das Wissen der Hebamme, welcher Wirkstoff, welche Pflanze in welcher Dosierung und Anwendungsform in Eigenverantwortung empfohlen beziehungsweise von der Frau angewendet werden kann oder eben nicht.
Leider wurde in der Vergangenheit in den Ausbildungen von Hebammen wenig dazu gelehrt und auch im Hebammenstudium wird das Wissen über komplementäre Medizin vernachlässigt. Dabei zeigen wiederholte Umfragen, dass 50–70 % der Bevölkerung sich die Behandlungsmethoden der komplementären, integrativen Medizin wünschen (Allensbach Institut, 2014). Phytotherapeutische Gesellschaften, Berufsfachverbände von Ärzt:innen und Phytopharmaka- als auch Aromaprodukt-Hersteller bieten hierzu Fort- und Ausbildungen an.
Ausblick
Für die Zukunft ist sicher retrospektive Beobachtungsforschung eine wichtige Aufgabe der neuen Hebammengeneration. Jedoch immer unter Beachtung der beruflichen Möglichkeiten. Alle Heilaussagen rund um Pflanzen und ihre Wirkstoffe machen diese zum Arzneimittel, somit zum Therapeutikum. Jede fachkundige Hebamme kann eine Frau an Apotheken oder Allgemeinarztpraxen verweisen, um phytotherapeutische Maßnahmen in Schwangerschaft, Wochenbett und Stillzeit zu unterstützen.
Manche Krankenkassen übernehmen die Kosten, sofern eine Verordnung von Ärzt:innen oder Heilpraktiker:innen vorliegt. Wird dazu ein grünes Rezept bei der Krankenkasse eingereicht, werden die Kosten von einigen Krankenkassen im Nachgang erstattet. Ob die Verordnung das Ziel ist oder gutes Allgemeinwissen, um eine wirksame Selbsthilfe nutzen zu können, ist ebenfalls eine Frage der kommenden Generationen. Einst waren die Mütter die »Hausärztinnen« der Familie und die Hebammen ihre Fürsprecherinnen.